Fahrgeschäfte: Das Ende von "höher, schneller, weiter"?

Malerei auf einem Karussell.
Bild: Radio Bremen | Martin von Minden

Jedes Jahr lockt der Bremer Freimarkt mit neuen Fahrattraktionen – jedoch werden es von Jahr zu Jahr weniger. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Aber entgegen einer weit verbreiteten Überzeugung hat es kaum etwas mit neuen Sicherheitsvorschriften zu tun.

Höher, schneller, weiter – jedes Jahr gibt es auf dem Freimarkt ein neues Karussell oder ein anderes spektakuläres Fahrgeschäft. Im vergangenen Jahr war es "Apollo 13", ein "Giant Booster", an dessen mehr als 50 Metern langen Auslegern Freizeit-Astronauten in Gondeln herumgeschleudert werden. Dieses Jahr kommt das höchste transportable Looping-Karussell nach Bremen: Mit "Infinity" geht es in 62 Metern Höhe munter im Kreis herum.

Grenzen der Physik

Ein Blick zurück erweckt jedoch den Eindruck, dass Neuattraktionen von Jahr zu Jahr weniger werden. Alexander Modrach vom TÜV-Nord ist zuständig für die Zulassung neuer Fahrgeschäfte. Auch er sieht den Trend: "Wirklich neue oder gar revolutionäre Fahrgeschäfte sind viel, viel weniger geworden als in den Jahren vorher." Der Prüfingeneur macht zwei Ursachen für die Entwicklung aus:

Es gibt zugelassene Beschleunigungen, die der Körper normalerweise aushält. Da sind die Fahrgeschäfte mittlerweile im Grenzbereich, und es gibt nicht mehr viel Luft nach oben.

Alexander Modrach, TÜV-Nord

Im Zweifel könnte den Karussellentwickler auch innerhalb dieser Grenzen noch etwas Neues einfallen, jedoch ist eben diese Fantasie nur noch in Maßen gefragt. "Die Zulassungszahlen von Fahrgeschäfte sind derzeit zwar auf Niveau der Vorjahre, aber es ist auffällig, dass das, was geprüft wird, vor allem alte Fahrgeschäfte sind, die wieder reaktiviert werden oder im Prinzip bekannte Systeme sind", sagt Modrach.

Grenzen der Wirtschaftlichkeit

"Fahrgeschäfte auf Jahrmärkten stoßen an ihre Grenzen, weil sie mobil sein müssen", erklärt Franz Hakelberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Schaustellerbundes, das Phänomen. "Wir müssen darauf achten, was sich in Sachen Transportaufwand und Aufbau überhaupt noch lohnt. Auch sind die Anschaffungskosten gestiegen, die mit Reisen über Jahrmärkte häufig nicht wieder reingeholt werden können."

Ein Beispiel höherer Anschaffungskosten findet sich auf dem Freimarkt. Die Wildwasserbahn "Auf Manitus Spuren" habe 1992 inklusive des heutigen Themen-Designs mehr als vier Millionen Mark gekostet, sagt Fritz Heitmann. "Heute müsste man denselben Betrag investieren, allerdings in Euro!" Bei einer Abschreibung zwischen sechs und zehn Prozent "könnten Sie so eine Anlage derzeit nicht finanzieren". Außerdem sei seit der Finanzkrise kaum eine Bank bereit, kostspielige Fahrgeschäfte mit Krediten zu stützen. Heitmann muss es wissen. Seine Familie ist seit Anfang des 19. Jahrhunderts im Schaustellergeschäft. Mit seinen beiden Söhnen zusammen betreibt er drei Wildwasserbahnen, einen Autoscooter und einen "Musik Express" – einen der Klassiker auf Jahrmärkten.

Grenzen beim Publikum

Heitmann kennt noch einen anderen Grund, warum wirkliche Neuerungen auf den Jahrmärkten weniger werden. Klassiker wie Achterbahnen, "Break Dancer", "Musik Express" oder Autoscooter seien beliebt und sprechen ein breites Publikum an. In Fahrgeschäfte mit "chaotischen Bewegungen", mit hohen Fallgeschwindigkeiten oder mit freien Schwingbewegungen gehe nur ein schmaler Publikumsquerschnitt der 14- bis maximal 30-Jährigen. "Zugleich muss aber überproportional mehr investiert werden, um eine kleine Steigerung im Erlebniswert zu bekommen. Da sind wir an wirtschaftliche Grenzen gekommen", so der Schausteller. "Jahrmärkte müssen familienfreundlich bleiben und dazu gehören auch ruhigere Fahrgeschäfte", sagt auch Branchenvertreter Hakelberg.

Langlebige Karussells

Heitmanns Wildwasserbahn ist mit ihren 24 Jahren Betriebsdauer keine Ausnahme auf dem Freimarkt. "Wir haben festgestellt, dass die Fahrgeschäfte älter werden und länger laufen, als ursprünglich geplant", sagt TÜV-Prüfer Modrach. Langlebigkeit der Anlagen, kaum Interesse an Neuerungen und wirtschaftliche Zwänge seitens der Schausteller hatten für die Hersteller von Fahrgeschäften dramatische Folgen. Die Insolvenz der Bremer Firma Huss vor zehn Jahren ist nur ein Beispiel. Alle großen deutschen Unternehmen in diesem Segment bauen mittlerweile keine anspruchsvollen mobilen Fahrgeschäfte mehr. Stattdessen beliefern sie Freizeitparks in ganz Europa, den USA und Asien.

In Europa gibt es nur noch wenige Hersteller für große und mobile Karussells. "Apollo 13" etwa wurde in Italien entworfen und gebaut – von der Firma Fabbri. Mehr als 50 dieser "Booster" haben die Italiener in etwa 20 Länder verkauft. In ihrer Funktion unterscheiden sich die jeweiligen Anlagen nicht, wohl aber in ihrer Dekoration. So sei das vollständig auf Weltraum ausgerichtete Themen-Design von "Apollo 13" einzigartig, behauptet der Betreiber des Fahrgeschäftes.

Wie steht es um die Sicherheit?

Wer allerdings annimmt, die alten Achterbahnen und Karussells auf deutschen Jahrmarkt gingen mit einem Minus an Sicherheit einher, der liegt falsch. 2005 erließ die Europäische Union eine neue Norm, die seit 2012 auch in Deutschland gilt. Mit ihr wurden die Sicherheitsstandards noch einmal angezogen. Das sorgte lange für viel Aufregung unter den deutschen Schaustellern, da die neue Norm in Deutschland rückwirkend auch für alte Fahrgeschäfte gilt. "Es hat sich auch gezeigt, dass ermüdungsrelevante Bauteile in der Praxis anders reagieren als in der Theorie“, sagt TÜV-Prüfer Modrach. Diese Erfahrung sei nun in das neue Sicherheitskonzept eingeflossen.

Die Vorschrift verursacht den Schausteller Mehrkosten, weil bestehende Anlagen noch einmal von Statikern grundsätzlich unter die Lupe genommen und die Fahrgeschäfte gegebenenfalls nachgerüstet werden müssen. Hakelberg vom Schaustellerbund findet es immer noch "überzogen", dass einzig in Deutschland, wo es ohnehin die höchsten Sicherheitsstandards und keine schweren Unfälle gegeben habe, ein Sonderweg gegangen werde. "Aber wir kriegen das hin. Wir wollen keine Sicherheit gegen Geld aufwiegen."

Fritz Heitmann grübelte für den Schaustellerbund lange gemeinsam mit TÜV und Behörden in einem Gremium, wie die neuen Vorschriften umgesetzt werden können. Er sagt, die geforderten statischen Berechnungen schlügen bei großen Anlagen schnell mit 50.000 bis 150.000 Euro zu Buche. Inzwischen beauftragten aber die Betreiber von vergleichbaren Fahrgeschäften gemeinsam ein Gutachten, wodurch die Kosten sinken. Er kann dem deutschen Sonderweg sogar etwas Gutes abgewinnen: Im Vergleich zu anderen europäischen Schaustellern müssten er und seine deutschen Kollegen niedrigere Versicherungsprämien zahlen und das in ganz Europa.

Autor

  • Drechsel Alex
    Alexander Drechsel Autor

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 11.10.2017, 23:20 Uhr