Fragen & Antworten
Wie gefährlich die Spuren zweier Weltkriege im Meer sind
Auf dem Meeresgrund der Nordsee verrotten Millionen Tonnen von Patronen, Granaten, Bomben, Minen und Giftgasen. Was wir über die gefährlichen Altlasten wissen.
Wie viel Munitionsaltlasten liegen an der deutschen Nordseeküste?
Experten schätzen, dass in der deutschen Nordsee etwa 1,3 Millionen Tonnen konventionelle Munition – also meist Sprengmunition – und zusätzlich rund 90 Tonnen chemische Kampfstoffe liegen. Insgesamt sind dort 21 munitionsbelastete Flächen ausgewiesen. Aber es gibt weitere unbekannte Areale in der deutschen Nordsee. In der Ostsee werden 0,3 Tonnen konventionelle Munition und mehrere tausend Tonnen chemische Kampfstoffe vermutet.
Warum liegt noch so viel Munition auf dem Meeresgrund?
Sowohl im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) als auch im Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) sollten gegnerische Schiffe am Einfahren in die Deutsche Bucht gehindert werden. Die Kaiserliche Marine und die Kriegsmarine legten dafür Minensperren an und ließen nur schmale Zufahrtswege in die Häfen offen. Im Zweiten Weltkrieg warfen zudem gegnerische Flugzeuge massiv Seeminen ab, um die deutschen Fahrwege zu blockieren. Im Anflug auf die kriegswichtigen Häfen an der Nordseeküste warfen alliierte Bomber immer wieder in Notsituationen ihre Sprengsätze auch über dem Meer ab.
Mit Ende des Zweiten Weltkriegs erbeuteten die Engländer in Deutschland Millionen Tonnen an Gewehrpatronen, Granaten, Bomben, Minen und chemischer Kampfstoffe. Die Verklappung im Meer erschien damals als schnelle und günstige Lösung. Ein Teil der Altlasten – vor allem chemische Munition – wurde in tieferen Gewässern im Skagerrak oder im Nordatlantik versenkt. Nahe der niedersächsischen Küste sind Versenkungen von chemischen Kampfstoffen nicht genau dokumentiert, man weiß aber um eine Stelle im "Helgoländer Loch". In der relativ flachen Deutschen Bucht wurde viel konventionelle Munition über Bord gekippt und zwar bis nah an die Küstenlinie heran.
Wie gefährlich ist Weltkriegsmunition, die in der Nordsee gefunden wird?
Grundsätzlich ist jede Art von Munition gefährlich und sollte unter keinen Umständen berührt werden. Experten unterscheiden: Scharfe Munition ist für den Kampfeinsatz vorbereitet, weil beispielsweise ihre Zünder aktiviert sind. Bei Blindgängern hat der eigentlich scharfe Zünder eine Fehlfunktion und die Sprengladung ist nicht explodiert. Lagermunition schließlich ist noch nicht zündbereit und kann grundsätzlich transportiert sowie gelagert werden. Alle Munitionsfunde können auf dem Meeresboden sein, im Watt liegen oder an Land gespült werden. Sie sind meist bewachsen und verrottet und nicht sofort als Munition erkennbar.
Verlegte Seeminen können auch mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Meer treiben und eine Gefahr für die Schifffahrt darstellen. Blindgänger auf dem Meeresboden sind eine Gefahr für Fischer und Schiffe vor Anker: Durch Berührung können auch sie noch explodieren. Die Vertiefung von Fahrrinnen oder der Bau von Windparks wurden durch Munitionsfunde immer wieder verzögert.
Langfristig gefährlich sind häufig die chemischen Stoffe, aus denen Munition besteht. Viele sind giftig oder krebserregend. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Meldungen, dass Spaziergänger am Strand weißen Phosphor gefunden haben, ihn aber irrtümlich für Bernstein hielten. Weißer Phosphor jedoch entzündet sich schnell und kann den Bernsteinsammler schwer verletzen. Auch ein Sprengstoffgemisch namens "Schießwolle" wird noch häufig am Strand gefunden. Es ist keineswegs wollartig, sondern mutet eher wie ein "weichgespülter" Stein an. Wenn man Schießwolle anfasst, verfärbt sich die Haut gelb. Sie ist giftig, krebserregend und kann Allergien auslösen.
Inwieweit der Meeresboden oder Fische durch die Munitionsaltlasten belastet sind, wird in Deutschland derzeit in dem Projekt "UDEMM" erforscht. In Dänemark müssen Fischer ihren Fang aus bestimmten Gebieten auf Gift untersuchen lassen. Wird eine Belastung festgestellt, kauft der dänische Staat den Fischern den Fang ab und vernichtet ihn. In Deutschland gibt es keine entsprechende Vorschrift. Allerdings muss jeder Munitionsfund gemeldet werden.
Wie verhalte ich mich, wenn ich ein verdächtiges Objekt finde?
Berühren Sie das verdächtige Objekt auf keinen Fall und halten Sie Abstand. Rufen Sie aus sicherer Entfernung mit ihrem Handy den Notruf unter 110 an und beschreiben Sie das Objekt sowie den Fundort. Falls Sie meinen, am Strand Bernstein gefunden zu haben: Denken Sie daran, dass es sich um weißen Phosphor aus Bomben handeln kann, der bei Temperaturen über 20 Grad sich selbst entzündet und dann mit mehr als 1.500 Grad brennt. Stecken Sie deshalb vermeintliche Bernsteinfunde nie in Ihre Hosen- oder Jackentasche. Verstauen Sie sie stattdessen in einer Dose und einer Tragetasche.
Wie häufig wird Munition geortet?
Alle Munitionsfunde aus deutscher Nord- und Ostsee werden bei der Zentralen Meldestelle für Munition im Meer in Cuxhaven registriert. 2015 wurden in der Nordsee vor Niedersachsens Küste 22 Funde und 171 Objekte gemeldet. In allen deutschen Seegewässern wurden insgesamt 217 Funde und mehr als 8.000 Objekte registriert. Die Zahlen für das Jahr 2016 liegen noch nicht vor, aber Schätzungen gehen von einer ähnlichen Größenordnung aus. Die Zahlen machen deutlich, dass bislang nur ein Bruchteil der versenkten Lagermunition und der Blindgänger gefunden wurde.
Kann die Munition beseitigt werden?
Es ist Aufgabe der landeseigenen Kampfmittelräumdienste, Munitionsaltlasten zu bergen. Etwa 90 Prozent der entdeckten Objekte werden aus dem Meer abtransportiert. Wenn nötig, wird die Munition vor Ort entschärft und dann verladen. In Ausnahmefällen werden die Funde unmittelbar gesprengt, um gefährliche Transporte zu vermeiden. Bei einigen im Krieg verlegten Seeminen kann es auch vorkommen, dass die Zünder von Tauchern entfernt werden und die entschärften Sprengkörper anschließend unter Wasser an einem für die Schifffahrt gesperrten Ort gesammelt werden. Sie sollen dort dann später von Robotern aufgeschnitten und der immer noch gefährliche Sprengstoff unschädlich gemacht werden. Dazu läuft ein Forschungsprojekt im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums mit dem Namen "ROBEMM".
Wo wird Altmunition entsorgt?
Im niedersächsischen Munster betreibt der Bund die Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten (GEKA). Dort kann konventionelle und chemische Munition in speziellen Öfen verbrannt werden.
Wer trägt die Kosten?
Die Küstenbereiche mit ihren Seewasserstraßen zählen zum Verantwortungsbereich des Bundesverkehrsministeriums. Das Ministerium zahlt also die Beseitigung von Munitionsaltlasten in deutschen Küstengewässern. Wenn Munition in Gebieten gefunden wird, die nicht dem Bund gehören, ist trotzdem der Bund in der Pflicht. Dann muss das Bundesfinanzministerium laut Allgemeinen Kriegsfolgengesetz in der Regel die Beseitigung bezahlen.
Dieses Thema im Programm: Hörfunknachrichten, 10. Januar 2017, 10 Uhr