Bremer Experten: "Stalking macht den Opfern das Leben zur Hölle"

Der neue "Tatort" aus Bremen handelt auch von Stalking. Wie relevant das Thema auch im echten Leben ist, zeigen Fallzahlen – und die Erfahrungen Betroffener.
Ein guter Krimi bietet im besten Fall nicht ausschließlich gute Unterhaltung – er bringt den Zuschauerinnen und Zuschauern auch ein gesellschaftlich relevantes Thema näher. Der neue Bremer "Tatort" namens "Solange du atmest", der am Sonntagabend um 20.15 Uhr im Ersten läuft, macht genau das: Denn es geht unter anderem um Stalking.
Ein sensibles Thema, denn Menschen, denen im realen Leben ein Stalker nachstellt, leiden sehr. Auch deshalb hat der Gesetzgeber vor vier Jahren das Gesetz gegen Nachstellung verschärft.
buten un binnen erklärt, was genau man unter Stalking versteht, wie verbreitet es im Land Bremen ist, was es mit Betroffenen macht und wie sie sich verhalten sollten.
Was heißt "Stalking"?
"Der Begriff Stalking wird aus dem Englischen abgeleitet und bedeutet Anpirschen", sagt Bastian Demann, Sprecher der Polizei Bremen. In der Praxis verstehe man unter Stalking das Belästigen, Verfolgen, Bedrohen und Terrorisieren einer Person gegen ihren Willen. Umgangssprachlich sagt man über Personen, denen auf diese Weise nachgestellt wird, dass sie gestalkt würden.
Was geschieht mit Menschen, die gestalkt werden?
"Stalking macht den Opfern das Leben zur Hölle", sagt Jürgen Osmers, Landespressesprecher des Weißen Rings Bremen. Die Betroffenen würden in ihrer Lebensqualität schwer beeinträchtigt, unter Umständen dauerhaft. Der Weisse Ring ist ein Verein, der sich um Kriminalitätsopfer kümmert.
Wie genau Stalking Menschen das Leben zur Hölle macht, weiß Marian Liebs. Der Psychologe arbeitet im Krisen-Interventions-Team Stalking (Stalking-Kit) des Täter-Opfer-Ausgleichs Bremen. Der Täter-Opfer-Ausgleich versucht, außergerichtlich zwischen Tätern und Opfern zu vermitteln. Liebs sagt: "Stalker versuchen, sich in die Seele ihres Opfers zu setzen."
Ihr Ziel sei, dass sich das Opfer mit nichts anderem mehr beschäftige als mit ihnen: "Auch wenn er gar nichts macht, gar nicht in der Nähe ist, soll das Opfer denken: 'Er könnte aber ja gerade…'" Die Geschädigten, die in der Regel weiblich sind, litten in der Folge unter einem Gefühl der Ohnmacht. Daraus könnten Depressionen und Angststörungen erwachsen. Um derartig weitreichende psychische Schäden zu verhindern, sei es wichtig, dass sich Stalking-Opfer frühzeitig Hilfe holten: "Sie sollten entweder sofort helfende Institutionen oder die Polizei aufsuchen oder sich zumindest Bekannten anvertrauen", so Liebs.
Wie kann man Menschen, denen ein Stalker nachstellt, helfen?
"Man muss Realität reinholen und die Stalker sofort begrenzen", sagt Liebs. "Stalker versuchen, die Geschädigten zu isolieren, ihnen das Gefühl zu geben, dass ihnen niemand hilft, ihnen niemand glaubt – und dass sie nichts dagegen tun könnten."
Genau hier müsse man ansetzen – und die Betroffenen aus ihrer Isolation holen. "Es ist wichtig, Menschen von außen reinzuholen", erklärt Liebs. Der Täter-Opfer-Ausgleich konfrontiere Stalker mit ihrem Verhalten. "Meist kommen dann irgendwelche abwegigen Ausreden wie 'Ich war zufällig in der Straße' oder so", sagt Liebs. Aber: "Der Stalker weiß, dass er erwischt worden ist." Üblicherweise würden Stalker dadurch ruhiger: "Sie sehen, dass sie nicht die Macht haben, die sie gern hätten." Stattdessen müssten sie mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Um was für Menschen handelt es sich in der Regel bei Stalkern?
In den meisten Fällen um Männer. Beispielhaft verweist Bastian Demann, Sprecher der Polizei Bremen, auf die stadtbremische Kriminalstatistik von 2024. In diesem Jahr habe die Polizei 212 Tatverdächtige ermittelt. 186 davon seien männlich gewesen, lediglich 26 weiblich.
In sehr vielen Fällen handele es sich bei Stalkern um ehemalige Partner ihrer Opfer, sagt Marian Liebs vom Täter-Opfer-Ausgleich: "Viele Stalker haben ganz schlechte Bindungserfahrungen in frühester Kindheit gemacht." Sie seien oft ohne Eltern oder mit nur einem Elternteil aufgewachsen – oder auch mit Eltern, die sich nicht um sie gekümmert hätten. "Stalker sind oft Menschen, die nie eine richtige Beziehung geführt haben und gar nicht wissen, was eine richtige Beziehung ist", sagt Liebs.
Wie viele Fälle von Stalking gibt es in Bremen?
Die Polizei Bremen befasst sich jährlich – von kleinen Schwankungen abgesehen – recht konstant mit rund 280 Fällen, die Polizei in Bremerhaven mit rund 50 Fällen. Das teilen Bastian Demann für die Polizei Bremen und Jens Ammermann für die Polizei Bremerhaven mit.
Allerdings habe sich die Art und Weise, auf die gestalkt werde, mit zunehmenden technischen Möglichkeiten verändert, sagt Liebs.
Es ist wesentlich einfacher geworden, zu stalken.
Marian Liebs, Psychologe beim Bremer Krisen-Interventions-Team Stalking
Auch sei das Überwachen anderer teilweise gesellschaftsfähig geworden. So habe heute fast jedes Kind ein Handy, über das es sich orten lasse. Auch bestünden viele Männer und Frauen darauf, dass ihnen die Partnerinnen und Partner ihre jeweiligen Live-Standorte per Kurznachricht übermittelten.
Andere nutzten Apps wie "Air Tag" und kleine Sender, um ihre Partner – oder vermeintlichen Partner – zu überwachen: "So etwas kann man einfach unters Auto klemmen. Wer kontrolliert schon sein Auto, bevor er losfährt?", so Liebs. Auch wenn es sich in solchen Fällen im juristischen Sinn nicht unbedingt immer um Stalking handele, sei die Tendenz – der Wunsch nach Kontrolle über den anderen – doch offensichtlich.
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Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Das Erste, 11. Mai 2025, 20:15 Uhr