Interview
Das macht den archäologischen Sensationsfund in Bremen so besonders
Vor 17 Jahren in der Überseestadt entdeckte Kleidungsstücke entpuppen sich als regelrechter Textil-Schatz. Archäologe Dieter Bischop erklärt, warum der Fund einzigartig ist.
Stücke von Umhängen, Stricksocken und Mützen, alles bis zu 400 Jahre alt. All das haben Archäologen in der Bremer Überseestadt aus dem Boden geholt. Die Ausgrabungen fanden zwar schon im Jahr 2007 statt. Doch nachdem zunächst Forschungen zu Teilaspekten des Fundes durchgeführt wurden, widmete man sich in den vergangenen Jahren schließlich der breiten Masse der Kleidungsstücke und präsentierte die Ergebnisse nun in Bremen.
Und diese Ergebnisse begeistern die Archäologen, denn normalerweise bleiben Stoffe nicht mehrere Jahrhunderte erhalten. Warum es hier doch gelungen ist, erklärt Dieter Bischop von der Bremer Landesarchäologie.
Herr Bischop, wie liefen die Ausgrabungen ab?
Bei Bauarbeiten wurde der mittelalterliche Stadtgraben gefunden – und damit auch enorm viele wertvolle Funde: Münzen, Waffenreste und alles mögliche andere. Aber für die Archäologen ist etwas ganz anderes bedeutend: 7.000 Textilfragmente, die wir in dem Stadtgraben gefunden haben. Sie waren perfekt erhalten, weil die Stoffe unter Luftabschluss in dem noch feuchten Erdreich waren.
Wie kamen die Kleidungsstücke dahin?
Das waren offensichtlich die Reste einer Schneiderwerkstatt, die dort hineingekippt wurden. Das Ganze hängt wahrscheinlich auch mit der Pest zusammen. Gerade in diesen Jahren herrschte die Pest und wenn eine Person in Zusammenhang damit verstorben ist, hat man das Hausinventar dann weggeschüttet. Und das könnte sehr gut damit zusammenhängen.
Für die Textilforschung ist wichtig, wie die Menschen und die Schneider damals gearbeitet haben. Welche Schnittmuster die hatten, welche Farben. Das kennt man eben kaum, weil wir kaum erhaltene Stoffe und Gewänder haben.
Dieter Bischop, Landesarchäologie Bremen
Was sind das für Kleidungsstücke?
Wir haben über 7.000 Fragmente von Gewändern von Männern und Frauen gefunden, die in die Schneiderwerkstatt gegeben wurden. Wir haben auch Schuhe gefunden, wir haben Handschuhe gefunden, Mützen und Strümpfe. Teile von Seidengewändern, Seidenschleier von Wämsen – also den mit Brettchenborten verzierten Jacken des Mittelalters und der frühen Renaissance, die man aus Filmen kennt.
Das gesamte Repertoire, was man damals anhatte, bis zur Unterhose, haben wir entdeckt. Wenn auch in Fragmenten.
Dieter Bischop, Landesarchäologie Bremen
Die Sachen sollten umgeändert werden, weil sie durchgewetzt waren oder schadhaft geworden waren. Da sieht man auch den Unterschied zur heutigen Zeit: Heute wird alles gleich weggeschmissen. Damals wurde bei der Mittelschicht, die wir entdeckt haben, eben doch noch alles wieder zum Flickschneider gegeben – und der machte schicke neue Sachen daraus.
Welcher ist der interessanteste Fund?
Etwas Besonderes ist, dass wir höchstwahrscheinlich ein Tiphoiken gefunden haben. Das ist ein ganz besonderes Modeaccessoire der Damen um 1600. Die hatten vorne in den Umhang integriert ein bis zu 50 Zentimeter langes Horn, aus einem Seil gedreht und mit Wolle und Samt überzogen. Das sollte wahrscheinlich dazu dienen, ein Gegengewicht zu dem schweren Umhang zu bringen, damit der nicht nach hinten wegrutscht, sondern über dem Kopf bleibt.
Für uns heute Lebenden sieht das ziemlich abstrus aus. Aber über 100 Jahre war das hier das Mode-Accessoire schlechthin.
Dieter Bischop, Landesarchäologie Bremen
Das Gespräch führte Laura Lippert für buten un binnen TV. Aufgeschrieben und redigiert von Rebecca Küsters.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. September 2024, 19:30 Uhr