Interview
Bei den Forschern auf der "Polarstern" ist es viel zu warm
Der Leiter der "Mosaic"-Expedition in der Arktis berichtet per Satellitentelefon von sommerlichen Temperaturen in der Arktis und den Auswirkungen auf unser Klima.
Markus Rex ist Fahrtenleiter der "Mosaic"-Expedition, der größten Arktis-Expedition aller Zeiten. Ein Jahr lang untersuchen Wissenschaftler aus 20 Nationen unter der Leitung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts die Arktis im Jahresverlauf. Aktuell haben die Forscher außergewöhnlich hohe Temperaturen gemessen.
Herr Rex, wie warm ist es bei Ihnen gerade?
Wir haben es in der sibirischen Arktis in den letzten Tagen und auch in den letzten Wochen sehr sehr warm gehabt. Bei Spitzbergen hatten wir vor einigen Tagen Temperaturen von 21 Grad am Erdboden. An unserer Position, wo wir uns gerade befinden mit der Polarstern, das ist bei 79 Grad Nord und etwa 2 Grad West, sind wir am Erdboden immer noch etwa im 0-Grad-Bereich. Das liegt daran, dass wir uns direkt auf der Eisoberfläche befinden. Aber 300 Meter über uns haben wir sage und schreibe 14 Grad gemessen – und das hier in der Arktis, das sind schon enorm hohe Temperaturen.
Und Sie haben festgestellt, dass das Eis sich besonders weit zurückgezogen hat.
Ja es hat sich insbesondere in dem östlichen, in dem sibirischen Teil der Arktis sehr weit zurückgezogen, weiter als wir das jemals zu diesem Datum Ende Juli beobachtet haben. Das wird zum einen verursacht dadurch, dass die Eisdrift in diesem Jahr schneller gewesen ist, aber es ist eben auch durch diese sehr hohen Temperaturen, die wir jetzt schon über Wochen in dem Bereich haben, schneller als normal geschmolzen.
Was bedeutet das für die Arktis und für unser Klima?
Das bedeutet, dass dort jetzt dunkle Meeresoberfläche der Sonnenstrahlung ausgesetzt ist, dort wo eigentlich die weiße Eisoberfläche sein sollte. Das dunkle Meer nimmt jetzt natürlich mehr Energie auf, es erwärmt sich schneller. Das heißt, es wird auch für den Rest des Sommers das Schmelzen des Eises weiter beschleunigen. Deswegen kann es schon sein, dass wir in diesem Sommer eine sehr geringe Meereisausdehnung in der Arktis bekommen. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Klima im Rest der Welt. Die Arktis ist die Wetterküche für Europa und für die Breiten, in denen wir leben. Der Temperaturkontrast zwischen der kalten Arktis und den wärmeren mittleren Breiten treibt unser Hauptwettersystem, das Westwind-Band, den Jetstream der Nordhemisphäre an. Das wird auch in diesem Sommer sicherlich Auswirkungen auf Wetter und Klima in Europa haben.
Ein Rundgang über das Forschungsschiff "Polarstern"
Wie ist denn die Stimmung unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, wenn sie mit solchen Ergebnissen konfrontiert werden?
Wir fokussieren uns hier natürlich auf unsere Messungen. Wir haben eine ausgezeichnete Stimmung an Bord, die Expedition ist jetzt wirklich besser verlaufen als wir uns das hätten erhoffen können. Wir haben mit unserer Eisscholle, an der wir liegen, eine stabile Basis für unsere Forschung gehabt. Wir sind sehr weit damit nach Süden gedriftet und konnten unsere Messungen in vollem Umfang fortsetzen. Das ist fantastisch, das hat auch jeden motiviert und wir sind ganz enthusiastisch dabei, diese Messungen durchzuführen. Nun erreicht diese Eisscholle allerdings auch in der nächsten Zeit die Eiskante hier im Bereich der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen.
Und dann?
Sie wird dort zerschlagen werden von Dünung und Wellen, die kleinen Bruchstücke schmelzen dann im offenen Ozean, sodass wir natürlich auch sehr wehmütig auf unser schönes Stück Eis schauen, wenn wir hier aus dem Fenster gucken und uns bewusst sind, dass es nicht mehr lange existieren wird. Wir haben diese Scholle seit Oktober letzten Jahres begleitet und haben sie aus allen Perspektiven angeschaut – von oben, unten und in der Mitte, sie ist uns ans Herz gewachsen.
Und dann endet die Expedition?
Nein. Wir haben dann noch eine ganz wichtige Aufgabe vor uns. Das letzte Puzzlestück, was uns noch fehlt, zu bekommen – nämlich der Beginn des Frierens, was am Ende des Sommers einsetzt. Die Sonneneinstrahlung lässt jetzt schon nach, und dann setzt das Frieren ein. Dieses Frieren ist eine ganz spannende Phase. Es hilft natürlich mit, dieses Gesamtgleichgewicht zwischen Eisbildung im Winter und Schmelzen im Sommer zu untersuchen. Und diese Gefrierphase nehmen wir jetzt für den restlichen Verlauf dieser Expedition in den Fokus. Dafür werden wir die Expedition weit nach Norden verlegen. Wir werden uns eine Eisscholle suchen, auf der wir den Beginn des Frierens und dann auch die volle Entfaltung des Frierens genau studieren können. Und damit werden wir dann das letzte Puzzlestück ergänzt haben, dann haben wir alle Phasen des Jahreszyklus des arktischen Meeres abgedeckt. Und wenn wir damit fertig sind, fahren wir Mitte Oktober wieder zurück nach Bremerhaven.
Das Interview führte Janine Horsch für Bremen Eins. Aufgeschrieben von Sonja Harbers.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 29. Juli 2020,