Bremerin schafft Lernort für Integration: "Haben keine Alternative"
Christiane Lenhard kümmert sich darum, dass geflüchtete Kinder ohne Schulzugang gleich nach ihrer Ankunft etwas lernen können. Dafür hat sie sogar einen neuen Ort geschaffen.
Mehrere Monate verbringen geflüchtete Kinder ohne Aufenthaltsstatus in der Zeltstadt in der Bremer Überseestadt. Auch zur Schule gehen sie in dieser Zeit nicht. Damit einige von ihnen trotzdem etwas lernen können, hat die Bildungsbehörde vor einem halben Jahr einen sogenannten Lernort eröffnet. Die pensionierte Lehrerin Christiane Lenhard hat ihn konzipiert.
Diesen Lernort in einem Container in der Überseestadt aufzubauen, war für die Bremerin eine Herausforderung: "Wir sind ein Lernort, in dem Kinder aufgenommen werden, die nichts mitbringen. (...) Die Erstaufnahmen hier in Bremen-Mitte sind im Zelt angesetzt", erzählt sie. Die Kinder haben dort kein Eigentum. "Wir mussten es so konzipieren, dass die Kinder mit dem, was sie bringen, einfach so unterstützt werden, dass sie wirklich gut in die deutsche Sprache reinfinden."
Kinder dürfen noch nicht zur Schule gehen
In den Lerngruppen sind ukrainische Kinder, Kinder aus Somalia, aus Syrien, Tschetschenien und Ghana. "Bunte-Welt-Schule", nennt die 67-Jährige diesen Ort, der keine richtige Schule ist, die Kinder aber wenigstens ein bisschen auf die Schule vorbereiten soll. In einem der Räume sitzen die Kinder an kleinen Schultischen. Sie haben ein Blatt vor sich liegen, auf dem Tiere gezeichnet sind. So lernen sie die Zahlen. In einem anderen Raum sitzen die Kinder im Stuhlkreis und üben die Farben. "Wie heißt das auf Deutsch?", fragt ihr Lehrer. Er zeigt auf die Tafel auf Bilder mit Obst. "Die Pflaume ist lila", wiederholen die zwölf Kinder im Stuhlkreis.
Bis vor einem halben Jahr gab es für diese Kinder in Bremen kein Lernangebot. Denn solange sie noch keinen vorläufigen Aufenthaltsstatus haben, gehen sie auch noch nicht zur Schule. Erst mit Aufenthaltsstatus ziehen sie in ein Übergangswohnheim und bekommen dann auch einen Regelschulplatz. Das kann aber mehrere Wochen oder sogar Monate dauern. Diese Zeit sei, so betont es Christiane Lenhard, lang für ein Kind im Grundschulalter. "Das ist total bitter, wenn man diese Zeit verpasst. Das ist für die Eltern ganz schwer und für die Kinder auch. Die haben nichts zu tun. Und sie brauchen Strukturen und Lernangebote", sagt die Bremerin.
Sie wollen ja lernen und wir verpassen die Zeit, wenn wir ihnen nichts anbieten.
Christiane Lenhard
Bremerin will geflüchtete Kinder für die Schule begeistern
Christiane Lenhard ist pensioniert. Lange Zeit war sie Grundschullehrerin und Schulleiterin in einer Grundschule in Bremen-Mahndorf. Als die Behörde sie fragte, ob sie sich vorstellen kann, den Lernort in der Überseestadt aufzubauen, überlegte sie nicht lange und sagte zu. Genau das richtige Projekt für sie. Sie ist eine Macherin. Und weil sie selbst eine multikulturelle Familie hat und sich auch in ihrem Beruf viel mit Diversität beschäftigte, ist es inhaltlich genau ihr Ding. "Mir ist wichtig, dass wir mit dem Wort Integration sorgsam umgehen. Integration heißt oft eine Erwartungshaltung. 'Die sollen sich doch bitte hier integrieren' — es ist weniger der Auftrag an uns", sagt sie. Vielmehr möchte sie die Frage stellen: "Wie können wir denn dafür sorgen, dass jemand sich hier gut integriert?"
Das Wichtigste ist für sie, dass die Kinder Schule als etwas Positives wahrnehmen. Dafür seien die Mitarbeiterinnen in dem Lernort sehr wichtig. Viele von ihnen sind selbst noch nicht so lange in Deutschland, haben aber in ihren Ländern als Lehrerinnen oder Pädagogen gearbeitet. Christiane Lenhards Job ist es, auch sie zu betreuen und anzuleiten.
Die Kinder brennen richtig für die Schule. Die sind total lernbegeistert.
Christiane Lenhard
Für jeweils zweieinhalb Stunden am Tag kommen bis zu 90 Kinder zum Lernort in die Überseestadt. Der Bedarf sei damit noch lange nicht gedeckt, aber es sei ein Anfang, sagt Christiane Lenhard. Hinter jeder Lerneinheit, jedem Basteln oder Bewegungsspiel steckt der Rahmenplan der Bildungsbehörde und die Arbeit von Christiane Lenhard. Sie erlebt, dass die Kinder unbedingt lernen wollen an diesem bunten, noch etwas improvisierten Ort. "Die Kinder brennen richtig für die Schule. Das ist so schön. Die sind total lernbegeistert und freuen sich jeden Tag darauf, dass sie in die Schule gehen können."
Auch wenn Christiane Lenhard mit dem Lernort, den sie mit geschaffen hat, zufrieden ist, ist das für sie nur ein Anfang. "In zehn, zwölf Jahre, dann sind diese Kinder die Erwachsenen hier in Bremen, und diesen Blick brauchen wir. Wir brauchen den Blick, sie als Erwachsene zu erleben und Möglichkeiten für eine gute Berufsausbildung zu vermitteln. Es muss gelingen."
Wir haben keine Alternative. Wir müssen da alle noch viel mehr Gas geben.
Christiane Lenhard
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 19. Oktober 2024, 13:40 Uhr