Fragen & Antworten
Ist mein Freund depressiv? Experte: "Nachfragen und Hilfe anbieten"
Depressionen können auch für Angehörige eine Belastung sein. Ein Bremer Psychotherapeut erklärt, wie Sie erkennen, ob jemand Hilfe braucht – und was die ersten Schritte sind.
Ein Freund verhält sich seit Wochen anders, sagt immer wieder Verabredungen ab und isoliert sich: Dieses Verhalten kann ein Anzeichen für eine Depression sein. Bundesweit ist der Anteil der Menschen mit einer ärztlich dokumentierten Depression seit 2017 gestiegen, wie aus dem AOK-Gesundheitsatlas hervorgeht. In Bremen und Bremerhaven waren demnach im Jahr 2022 rund 12 Prozent von einer Depression betroffen.
Solche Verhaltensänderungen fallen meist zuerst Menschen im näheren Umfeld der Betroffenen auf. Doch wie spricht man das am besten an? Der Bremer Psychotherapeut Christoph Sülz gibt Tipps, wie Sie Freunde oder Angehörige mit depressiven Anzeichen helfen können. Dabei ist laut dem Experten vor allem eines wichtig: sich einzugestehen, wann die Unterstützung die eigenen Grenzen überschreitet.
Woran kann ich eine Depression erkennen?
Depressives Erleben äußert sich auf vier Ebenen, erklärt Sülz – im Denken, Verhalten, emotionalen Erleben und auf der körperlichen Ebene. Anzeichen im Verhalten zeigen sich, wenn sich jemand zum Beispiel sozial zurückzieht, häufig Verabredungen absagt oder auf Nachrichten nicht mehr antwortet.
Auf der körperlichen Ebene sind Schlafstörungen ein Hinweis. In Partnerschaften kann laut Sülz auch der Verlust von sexuellen Funktionen ein Anzeichen für eine Depression sein: "Da wird nicht gerne drüber gesprochen, weil es peinlich ist und man sich schämt. Wenn die Libido verloren geht, ist das etwas, was man in Partnerschaften relativ schnell merkt und dann direkt ansprechen kann."
Zu den offensichtlichen Symptomen gehört emotionale Instabilität, also immer wieder anfangen zu weinen aus dem Nichts heraus. Das ist dann schon sehr, sehr deutlich.
Dr. Christoph Sülz, Bremer Psychotherapeut
Wie kann ich als Freund oder Angehörige darauf reagieren?
Das Wichtigste sei, keinen Druck machen, aber sich immer wieder anzubieten, so der Psychotherapeut. Man solle der Person klarmachen, dass man für sie da ist, aber dabei auch nicht zu offensiv sein. Symptome würden sich häufig aus Überforderung und dem Bedürfnis nach Ruhe heraus äußern.
"Wenn Leute vor der Tür stehen, es gut meinen und immer wieder klingeln oder anrufen, dann kann das den Stress eher erhöhen", erklärt Sülz. Wenn man sich selbst unsicher ist, könne man sich zudem erstmal mit dem Umfeld der Person abstimmen, um herauszufinden, ob auch sie diese Veränderungen beobachten.
Sollte ich mich je nachdem, ob die betroffene Person männlich oder weiblich ist, anders verhalten?
Auch das lasse sich nicht pauschal sagen. Allerdings könne man bestimmte Verhaltensweisen anders einordnen. Laut Sülz reagieren Männer oft mit gereizter Stimmung, sie schimpften und nörgelten viel. Dies könne ein Zeichen für eine hohe Unzufriedenheit und eine damit verbundene hohe Belastung sein. Frauen hingegen zögen sich meist eher zurück und seien weniger offensiv.
Deswegen gilt für mich die Regel: Wenn ich bei einem Freund oder Angehörigen feststelle, dass sich sein Verhalten ändert, würde ich nachfragen.
Dr. Christoph Sülz, Bremer Psychotherapeut
Inwiefern kann den Betroffenen Ablenkung helfen?
Das hänge von den Symptomen ab und helfe nicht immer, erklärt Sülz. Wenn bei der Person ein starkes Grübeln zu beobachten ist, könne Ablenkung sehr gut helfen, aber wenn sich jemand sozial stark zurückzieht, könne derjenigen das auch als bedrängend erleben. Generell gelte aber: "Jede Ansprache, jedes Zugehen ist erst einmal hilfreich und man muss auch keine Angst haben, dass man etwas kaputt oder schlimmer macht."
Wie kann ich meine eigenen Grenzen wahren, ohne die Person im Stich zu lassen?
"Sich anbieten, aber sich auch deutlich machen: Wenn es mir selbst damit nicht gut geht, dann ist das ein starkes Indiz dafür, dass es über das hinausgeht, was man unter Freunden oder in der Familie aushalten kann oder muss", sagt Sülz. Sorgen um den anderen, die so groß werden, dass man selbst nicht mehr schlafen oder an nichts Anderes mehr denken kann, seien ein Hinweis, dass die Sorgen zu einer Gefährdung der eigenen Gesundheit führen können.
Wann ist professionelle Hilfe nötig und wie spreche ich das an?
Entscheidend dabei sei, wie lange solche Auffälligkeiten zu beobachten sind – also wenn das Verhalten nicht nur einen Tag anhält, sondern ein bis zwei Wochen. In diesem Fall empfiehlt Sülz, das Gespräch zu suchen. Manchmal könne es auch gute Gründe für eine kurzfristige Verhaltensänderung geben.
Wann genau eine akute Krise besteht, lasse sich für Angehörige aber generell nicht so einfach feststellen. Totale Isolation könne dafür auf jeden Fall ein Anhaltspunkt sein, aber das seien bereits erhebliche Veränderungen.
Als Daumenregel gilt ganz grob: Je krasser die Verhaltensveränderungen sind. Also wenn mir zum Beispiel auffällt, dass jemand völlig abtaucht, gar nicht mehr erreichbar ist, nicht mehr zur Arbeit, zur Schule oder zum Studium geht.
Dr. Christoph Sülz, Bremer Psychotherapeut
Allgemein sei es sinnvoll, in solchen Situationen an den Hausarzt zu verweisen. Die Betroffenen seien oft froh, wenn sie darauf angesprochen werden, denn oft fehle ihnen selbst die Motivation, sich eigenständig Hilfe zu suchen. "Wenn Betroffenen jemand beispielweise sagt: 'Lass uns zusammen einen Termin beim Hausarzt machen', kann das eine Entlastung oder eine Brücke darstellen", so Sülz.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 12. Oktober 2024, 19:30 Uhr