Studieren mit kognitiver Beeinträchtigung: So macht es Erik

Inklusives Studium in Ottersberg

Studieren mit geistiger Behinderung: So macht es Erik in Ottersberg

Bild: Radio Bremen

Erik Bernsen hat Pläne für seine Zukunft: Er möchte im Lübecker Puppenmuseum arbeiten. Jetzt ist er Student an der Hochschule für Künste im Sozialen in Ottersberg.

Erik Bernsen ist etwas Besonderes: Trotz seiner geistigen Behinderung spielt der 21-Jährige Klavier und Klarinette und hat ein Faible für Handpuppen und Theaterspielen – aber lesen und schreiben kann er nicht. Als Kind wurde ihm eine "globale psychomotorische Entwicklungsstörung" diagnostiziert.

Lange lebte Erik in seiner eigenen Welt, konnte sich kaum mitteilen und bewegen. Eine starke Fehlsichtigkeit der Augen wurde erst im Alter von sechs Jahren erkannt und behandelt. Hinzu kommt, dass er jahrelang durch Fremdkörper in den Ohren nicht hören konnte. Dass er heute, mit 21 Jahren, studiert, hätte sich auch seine Mutter, Christine Bernsen, nicht träumen lassen. Aber die kreative Begabung ihres Sohnes hatte sie schon früh entdeckt: In der Wohnung, in der sie lebten, legte Erik sich auf den Boden, wann immer die Nachbarin unter ihnen Klavier spielte.

Puppen sind Eriks Leidenschaft

Inklusives Studium in Ottersberg
Bild: Radio Bremen / Erik (c) privat

Heute spielt Erik nicht nur selbst Klavier, sondern auch Klarinette, er engagiert sich im Blaumeier Atelier, einer Einrichtung für Künstler mit und ohne Behinderung oder psychische Erkrankungen, und seit Sommer 2022 studiert er nun auch an der HKS in Ottersberg "Tanz und Theater im Sozialen". Denn Erik hat ein ganz konkretes Ziel, auf das er hinarbeitet: Er möchte im Lübecker Puppenmuseum andere Menschen mit einer eigens entwickelten Handpuppe durch das Museum führen.

Mein größter Wunsch ist, so eine Art Puppenspieler zu werden, um Leute wirklich für das Puppenspiel zu begeistern und ihnen zu zeigen, dass es viel mehr gibt als nur das Kasperletheater.

Erik Bernsen, Student

Auch für Erik selbst haben Puppen schon lange eine große Bedeutung. Früher fiel es ihm schwer, mit fremden Menschen zu sprechen. Handpuppen haben ihm dabei geholfen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Sie waren wie ein Puffer zwischen ihm und seinem Gegenüber. Aber für Erik haben die Puppen noch eine andere Faszination: Beim Puppentheater vergesse man schnell, dass eine Person spielt. Puppen können einen so reinziehen in eine Geschichte, dass man alles rundherum vergisst, erklärt er. Diese Begeisterung möchte er weitergeben.

Neuer Alltag als Student

Inklusives Studium in Ottersberg
Bild: Radio Bremen

Seit Erik nun an der HKS Ottersberg studiert, ist er ein vielbeschäftigter Mann. Und nicht lesen und schreiben zu können, macht seinen Alltag nicht weniger aufwendig. Unterstützt werden Erik und die anderen Studierenden mit Lernbeeinträchtigungen von "künstlerischen Assistenzen". Das sind in der Regel andere Studierende, die ehrenamtlich in den Seminaren helfen und bei Schwierigkeiten vermitteln. Konflikte gibt es von Eriks Seite nicht, aber wichtig sind für ihn die Protokolle, die die Assistenzen anfertigen. Diese kann er sich auch nach den Vorlesungen noch einmal vom Computer vorlesen lassen und so auch Stoff nachholen, den er nicht sofort verstanden hat.

In den künstlerischen Kursen fällt Erik die Integration aber leichter. Auf seine körperlichen Einschränkungen nehmen die Mitstudierenden Rücksicht und so fällt kaum auf, dass Erik seine Halswirbelsäule nicht drehen oder sich schlechter bücken kann als andere. Im Seminar "Tanzimprovisation" spürt man, dass die Studierenden miteinander warm geworden sind und dass es immer weniger Trennung gibt zwischen den "Normalos" und den Studierenden mit Einschränkungen.

Inklusion ist Herausforderung, aber auch Chance

Möglich wird das Studium durch das Projekt "Artplus", eine Initiative des Hamburger Verbands Eucrea, der sich für neue Möglichkeiten der beruflichen Qualifizierung für Kreative mit Behinderungen einsetzt. Hans-Joachim Reich, Professor an der HKS für Performance, Tanz und Bewegung ist einer der klaren Befürworter des Projekts. Inklusion bedeute zwar Herausforderung, aber auch Chance, sagt er. Herausfordernd sei, dass sich erst alle an den neuen Alltag gewöhnen müssen. Immer wieder gebe es daher Diskussionen über die unterschiedlichen Redebedarfe der Studierenden und auch über die individuellen Lerngeschwindigkeiten. Jetzt nach knapp zwei Monaten miteinander studieren, gibt es erste größere Krisensitzungen mit allen Studierenden des Semesters. Hans-Joachim Reich aber nimmt das gelassen. Diese Auseinandersetzungen seien Teil eines Prozesses, sagt er.

Das ist ein großer Schritt, diese Berührungsängste abzubauen und es anzusprechen, ohne ewig in diesem Inklusionsgedanken drin zu sein. Weil ich glaube, das braucht es auch nicht, so einen weichgespülten Inklusionsgedanken.

Hans-Joachim Reich

Faszination: Beim Puppentheater vergesse man schnell, dass eine Person spielt. Puppen könnten einen so reinziehen in eine Geschichte, dass man alles rundherum vergisst, erklärt er. Diese Begeisterung möchte er weitergeben.

Autorin

  • Katharina Mild
    Katharina Mild Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 6. Dezember 2022, 10:40 Uhr