Interview
Stets fit oder ständig krank? Ein Bremer Arzt verrät, woran das liegt
Gute Gene, gutes Essen, guter Stress? Oder doch nur das Alter? Ob jemand oft kränkelt oder nicht, kann viele Gründe haben, erklärt Hausarzt Holger Schelp.
Holger Schelp ist Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Bremen. Der Allgemeinarzt ist Partner in einer Gemeinschaftspraxis in Bremen-Huchting. Warum manche seiner Patienten die herbstliche Krankheitswelle eher trifft als andere, verrät er im Interview.
Herr Schelp, gibt es Patienten, die Sie in jedem Herbst pünktlich zur Erkältungssaison in Ihrer Praxis begrüßen dürfen?
Es gibt Patienten, dich ich gut kenne, weil sie häufiger im Jahr da sind. Ich habe allerdings auch viele Patienten, bei denen bekomme ich es gar nicht immer bewusst mit. Das kommt dann eher von den Patienten, die sagen, ich habe dies und jenes jedes Jahr zu dieser Zeit. Und dann gucke ich in die Kartei und sehe: Oh ja, das stimmt.
Hängt die Wahrscheinlichkeit, sich einen Infekt einzufangen, vor allem von den Genen ab – oder gibt es andere Gründe?
Gute Gene helfen auf jeden Fall. Denn auch diejenigen, die sich Mühe geben, regelmäßig schlafen, sich regelmäßig bewegen, sich frisch, gut und variantenreich ernähren, sind manchmal trotzdem krank.
Würden Sie dennoch zum sprichwörtlichen "apple a day" raten, um sich den Doktor zu sparen?
Die Forschung ist sich da einig. Die ganze Infektabwehr, also dass der eigene Körper Viren und Bakterien draußen hält, funktioniert auf einer Mikroebene. Sie ist unter anderem davon abhängig, dass bestimmte Enzyme und Zellen gut funktionieren. Die wiederum brauchen dafür verschiedenste Materialien, die als Nährstoffe in unserem Essen stecken – unter anderem in Äpfeln. Man müsste sich allerdings schon sehr einseitig ernähren, um in einem Industrieland wie dem unseren nicht genügend der benötigten Nährstoffe aufzunehmen.
Man kann, wie gesagt, aber auch trotz guter Ernährung Pech haben, dass einem einfach das falsche Virus über den Weg läuft. Vielleicht auch gerade dann, wenn die Immunabwehr gerade etwas heruntergefahren ist.
Die durchschnittlichen beruflichen Krankheitstage in Deutschland sind zuletzt ja sprunghaft auf mehr als 15 im Jahr angestiegen. Ist Stress – zum Beispiel bei der Arbeit – so ein Faktor, der die Immunabwehr anfälliger macht?
Ja, sich gestresst zu fühlen, das macht was aus. Bei dauerhafter Erschöpfung, wenig Schlaf oder negativen Einflüssen im Umfeld fährt das Immunsystem runter. Denn emotionale Dinge werden ja auch von Hormonen gesteuert, von Mikrobotenstoffe, die im Körper herumschwirren. Dann funktioniert eben auch irgendwann das System der Infektabwehr nicht mehr gut.
Stress kann allerdings die Infektabwehr auch verbessern, wenn es sich um Eustress handelt…
…also um positiven Stress.
Genau. Wenn zum Beispiel jemand total viel zu tun hat, es gut läuft, es Spaß macht, er oder sie für die eigene Arbeit gelobt wird. Das ist ein guter Stress. Dann ist es möglich, auch mal für kurze Zeit ein höheres Einsatzlevel abzurufen.
Bis der Körper sich dann doch irgendwann meldet?
Ja. Der Körper hält das nicht lange aus. Und das spiegelt sich dann auch in den Infekten. Jemand, der gerade einen guten Lauf hat, bei dem ist es unwahrscheinlich, dass er krank wird. Wenn das dann aber geschafft und alles erledigt ist, wenn die Leute zur Ruhe kommen, dann kommt auch eher mal ein Infekt durch.
Raten Sie als Arzt auch mal dazu, beruflich oder privat einen Gang zurückzuschalten, statt ständig mit Medikamenten gegenzusteuern?
Diese Gespräche zur Gesundheitserziehung, die führen wir eigentlich ständig. Das sind dann zwar keine zwanzigminütigen Vorträge. Aber wenn jemand alle drei Wochen in der Praxis steht, dann schaut man sich das schon genauer an. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand beruflich in Wechselschichten arbeitet. Und irgendwann – das kann so ab 50 Jahren losgehen – kommt diese Person mit der Nachtschicht nicht mehr klar, schläft schlecht und ist häufiger krank. Dann kann das aus medizinischer Sicht ein Grund sein, diesem Menschen zu sagen, lieber keine Nachtschichten mehr zu machen.
Sind denn junge Menschen prinzipiell weniger anfällig für Krankheiten?
Wenn wir jetzt nur die Infekte angucken, dann gibt es so eine Welle. Die Kleinkinder müssen die Infekte noch alle kennenlernen. Deren Immunsystem nimmt alles auf, verarbeitet es, baut dann die T-Zellen, Gedächtniszellen und so weiter auf. Ab dem Jugendalter ist das dann wie bei den Erwachsenen. Wenn wir dann in Richtung sehr alt gehen, lässt das Immunsystem tatsächlich in seinen Fähigkeiten nach. So wie auch die Gelenke nicht mehr so gut funktionieren oder das Herz vielleicht nicht mehr so viel Power hat.
Auch die mikroskopisch kleinen Vorgänge sind bei älteren Leuten beeinträchtigt.
Holger Schelp, Hausarzt
Im Alter laufen Infekte länger, Wunden heilen etwas langsamer. Da kann es dann öfter mal zum Infekt kommen – auch wenn ältere Menschen den Vorteil haben, dass sie viele Infekte schon mal ihren Körper hatten. Weil das so ist, werden bei älteren Leuten ja oft auch etwas höhere Impfdosen genommen, damit es auf jeden Fall funktioniert und das Immunsystem überhaupt merkt, dass man geimpft wurde.
Macht es deshalb für Ältere zur Sicherheit generell Sinn, sich gegen Grippe und Co. durch Impfungen zu schützen?
Deshalb gibt es ja so viele Impf-Empfehlungen seitens der Stiko…
…der Ständigen Impfkommission…
…wo dann drinsteht, das sie ab 60 empfohlen sind. Das Alter ist dabei zwar nicht unbedingt auf genau 60 fixiert. Man sollte aber schon schauen, ob es für jemanden ab diesem Alter sinnvoll ist, sich impfen zu lassen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 28. Oktober 2024, 7 Uhr