Interview

Hochbegabung: Weshalb Intelligenz eine Strafe sein kann

Hände halten wie magisch mathematische Formeln (Symbolbild)
Als hochintelligent gilt in unserer Gesellschaft, wer komplexe, etwa mathematische Probleme in kurzer Zeit eigenständig lösen kann. Bild: Imago | Panthermedia/Foto-Ruhrgebiet

Sie erfassen Probleme schnell und finden öfter als andere eine Lösung: hochintelligente Menschen. Glücklich aber sind sie nicht unbedingt. Ein Hochbegabter erklärt, warum.

Wer dazu gehört, ist intelligenter als 98 Prozent der Bevölkerung: Der Verein Mensa ist ein Zusammenschluss Hochbegabter. Mit dabei sind auch einige Binnen- und Buten-Bremer.

Dieter Lamberty aus Dörverden ist seit 2015 Mensa-Mitglied und leitet die Intelligenztests des Vereins in Verden. Im Gespräch mit buten un binnen erklärt der 55-jährige IT-Experte, weshalb es nicht unbedingt nur ein Segen ist, als Hochintelligenter in unserer Gesellschaft zu leben.

Männergesicht, Mitte Fünfzig, mit braunen Augen und buschigen Augenbrauen
Ist hochintelligent: Dieter Lamberty. Bild: Dieter Lamberty

Immer wieder hört man, dass es für Betroffene auch Nachteile mit sich bringt, hochbegabt zu sein. Inwiefern können Sie dem zustimmen?

Das ist so, zumindest teilweise. Vor allem habe ich es so empfunden, als ich noch nicht wusste, dass ich hochintelligent bin. Das, was ich mache, ist für mich völlig normal. Ich würde gar nicht von mir sagen, dass ich hochbegabt bin, wenn ich nicht diesen Zettel hätte, auf dem das draufsteht. Ich mache es halt einfach, weil ich es eben kann. Und dann ist es für – oder war es für mich – schwierig nachzuvollziehen, warum andere das nicht verstehen oder verstanden haben. Wenn ich gesagt habe: "Wieso, das ist doch völlig offensichtlich, dass man das so und so machen muss", dann haben andere negativ auf mich reagiert.

Können Sie das anhand eines Beispiels erläutern?

Es kommt immer mal wieder bei meiner Arbeit mit dem Computer vor, dass wir ein neues System haben. Ich sage dann beispielsweise: "Okay, ich gucke mir das an. In einer Woche weiß ich, wie es funktioniert." 

Andere erwidern: "Ne, du brauchst mindestens vier bis acht Wochen, um das zu verstehen, so komplex wie das ist." Dann sage ich: "Wieso komplex? Das ist ganz einfach. Es funktioniert so und so. Da macht man dies und dann das, und dann klappt das so." Das hat dann schon mal zur Folge, dass sich die anderen teilweise zurückgesetzt fühlen. 

Es steht außer Frage, dass unsere Gesellschaft auf besondere Begabungen Einzelner angewiesen ist. Worauf führen Sie zurück, dass viele Menschen Hochbegabten dennoch mit Neid begegnen?

Ich weiß nicht, ob es sich wirklich um Neid handelt. Ich habe das so auch noch nicht erlebt, dass jemand neidisch auf mich gewesen wäre. Höchstens indirekt, während der Ausbildung. Da gab es das Problem: Andere mussten lernen, ich nicht. Da hieß es dann schon mal: "Der lernt ja nie und hat trotzdem gute Noten, und ich muss mich hier abmühen." Aber auch in solchen Situationen wurde es nicht so konkret, dass jemand gesagt hätte: "Der ist ja hochbegabt." Es blieb bei der Frage: "Wieso kann der das und ich nicht?"

Sehr verbreitet ist dagegen das Klischee: Hochbegabung gleich Arroganz. Das ist ein großes Thema, das viele bei Mensa beschäftigt. Ich bin auch schon für arrogant gehalten worden und wusste zunächst gar nicht, warum. 

Wären Sie lieber nicht so intelligent, wie Sie es sind?

Nein. Ich muss auch zugeben, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie es für mich wäre, weniger intelligent zu sein. Denn ich war schon immer so, kenne es nicht anders. 

William Sidis, einer der intelligentesten Menschen aller Zeiten, hat seine besondere Begabung nach einer Reihe schlechter Erfahrungen versteckt und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Was raten Sie hochbegabten Menschen: Sollten sie sich verstellen, um akzeptiert zu werden?

Ja, das ist eine gute Frage, ein großes Thema, auch bei Mensa immer wieder. Soll ich bei der Arbeit sagen, dass ich hochbegabt bin? Soll ich in Bewerbungen schreiben, dass ich Mensa-Mitglied bin? Da gehen die Meinungen weit auseinander. Die einen sagen: "Ne, auf gar keinen Fall, versteck’ das." Die anderen sagen: "Warum muss ich das verstecken? Es gehört zu mir." 

Ich glaube: Was besser ist, hängt auch vom Umfeld ab, in dem man sich bewegt. Im IT-Bereich wird das relativ entspannt gesehen. Generell sollte man, wenn man überhaupt um seine hohe Intelligenz weiß, versuchen, sich auf die anderen einzustellen.

Aber: Es ist anstrengend, wenn man immer mit angezogener Handbremse unterwegs ist und immer versucht, auf die anderen Rücksicht zu nehmen, damit sie einen verstehen.

Dieter Lamberty aus Dörverden
Porträt von William James Sidis
Der US-Amerikaner William Sidis galt nicht nur als mathematisches Wunderkind und begann im Alter von elf Jahren in Havard zu studieren. Er beherrschte auch 25 Sprachen. Bild: The Sidis Archives

Sie betonen, dass es Hochbegabte gibt, die gar nicht unbeding von ihrer Begabung wissen. Aus welcher Motivation heraus haben Sie 2015, also mit Mitte 40 den Test gemacht?

Ich hatte über Mensa schon einiges gehört, gelesen und im Fernsehen gesehen: Dokumentationen über Leute, die hochbegabt waren und von Mensa erzählt hatten. Mensa bietet ja auf ihrer Homepage einen Online-Test an, den ich mal probiert hatte und wo das Ergebnis war, dass ich gute Chancen habe.

Allerdings war ich am Anfang noch sehr scheu und habe mich gefragt, was mich dort wohl erwarten könnte und was wäre, wenn ich nicht bestehe.

Ich wäre ja gar nicht auf die Idee gekommen, hochbegabt zu sein, nur irgendwie anders.

Dieter Lamberty aus Dörverden

Als sich dann aber die Gelegenheit ergab, den Test in der Nähe von meinem Wohnort zu machen, hat dann doch die Neugier gesiegt und ich habe mich angemeldet.

Ich habe noch niemanden erlebt, der reingekommen ist, um den Test zu machen, und gesagt hat: "Ich bin hochbegabt." Doch viele haben Ideen, dass es wohl so sein könnte, dass man halt anders ist als andere Leute. Das war auch bei mir so. Ich habe mir gesagt: Wenn es nicht klappt, weißt Du wenigstens Bescheid. Und wenn doch, dann auch.

Haben Sie sich gefreut, als Sie das Ergebnis hatten, oder waren Sie entsetzt?

Ich habe mich schon eher gefreut. Wenn man einen Zettel in der Hand hält, auf dem steht, dass 98 Prozent der Bevölkerung mit einem nicht mithalten können, dann weiß man endlich, warum man anders ist als andere, warum einen die anderen nicht verstehen.

Dann ist einem auch klar, weshalb einen ganz viele Menschen komisch angucken, wenn man etwas tut, was einem selbst ganz normal vorkommt. 

Dieter Lamberty aus Dörverden

Für wie aussagekräftig halten Sie Intelligenztests?

Ich halte die Test schon grundsätzlich für gut. Sie eigenen sich, um zu testen, wie gut jemand schnell Zusammenhänge erkennen und Probleme lösen kann. Man muss sehr schnell erkennen können, worum es geht, man muss schnell die Muster durchschauen. 

Was ist der Unterschied zwischen Begabung und Intelligenz?

Das Wort "Begabung" greift weiter. Man kann auch anderweitig begabt sein als nur in punkto Intelligenz. 

Mensa spricht von "Hochbegabung", ermittelt diese Begabung aber ausschließlich anhand eines Intelligenztests…

Ja, das stimmt. Mensa prüft nur die Intelligenz. Ob Mozart bei Mensa aufgenommen worden wäre – das kann ich nicht sagen, obwohl er ja nun offensichtlich hochbegabt gewesen ist. Ich kann nicht singen, ich kann auch keinen Nagel gerade in die Wand schlagen, jedenfalls nicht im ersten Anlauf. Aber ich kann gut Systeme abstrahieren und Regeln daraus ableiten. 

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Quelle: buten un binnen.