Wie Bremer Kinder in Gröpelingen zu Designern und Bildhauern werden

Drei Mädchen in einem Bastelraum rings um eine Hasen-Figur aus Bronze
Können dem bronzenen Hasen von Gerhard Marcks eine Menge abgewinnen: Lara, Izel, Delal (von links). Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Bei "Kultur vor Ort" basteln Kinder mit Originalen aus Bremer Museen an einer Galerie und lernen so Marcks und Wagenfeld kennen. Ist das die kulturelle Bildung der Zukunft?

Das Gesicht des bronzenen Hasen von Gerhard Marcks findet Iremnur schon mal "super", wie sie sagt, nachdem sie die Figur angesehen und vorsichtig abgetastet hat. Auch der übrige Hase gefalle ihr sehr, versichert die Neunjährige, gibt aber auch zu bedenken: "Die Beine sind seeehr lang, und die Ohren sind seeehr groß." Das sei nicht bei allen Hasen so, nur bei manchen, ist sich Iremnur sicher. Ihr eigener Hase, den sie gerade aus Pappe fertigt, werde wohl kürzere Beine und Ohren bekommen und solle letztlich ohnehin ein bisschen anders aussehen als der von Marcks: "Ich möchte einen Hasen mit einem eingeklappten Ohr und mit wuscheligen Beinen basteln", stellt die junge Künstlerin fest – und schnippelt mit ihrer Schere prompt an einer geeigneten papiernen Schablone herum.

Wir befinden uns im Atelierhaus Roter Hahn in Gröpelingen. Das Kinder- und Jugendatelier hat hier kürzlich die interaktive Galerie "Auf den Tisch!" eröffnet. Dabei handelt es sich um ein Kooperations-Projekt des Gröpelinger Kulturvereins "Kultur vor Ort" mit dem Gerhard-Marcks-Haus und dem Wilhelm-Wagenfeld-Haus. Die Idee dahinter: Die Kinder und Jugendlichen im Atelierhaus, überwiegend Schülerinnen und Schüler aus Gröpelingen, zeichnen, malen und basteln an Mitmachstationen eigene Bilder und Skulpturen, während sie sich von originalen Objekten Hans Arps, Gerhard Marcks’ und Wilhelm Wagenfelds inspirieren lassen. Anschließend verbleiben die Arbeiten der Kinder in der Galerie: als feste Bestandteile einer stetig wachsenden Ausstellung.

Auch Max und Moritz stehen Modell

Junges Mädchen mit violetter Brille und Raster-Frisur zeichnet etwas
Ob mit der Schere oder mit dem Bleistift: Iremnur ist im Roten Hahn voller Begeisterung bei der Sache. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Neben Marcks’ Hasen aus dem Jahr 1964 stehen dazu im Atelierhaus auch einige der etwas abstrakteren Figuren Arps’ zur Inspiration für die Kinder bereit, etwa ein weiblicher Torso oder auch eine an der schmalen Querseite statt der größeren Längsseite geöffnete Muschel. Buchstäblich "Auf den Tisch!" gekommen im Roten Hahn ist zudem Besteck von Designer Wilhelm Wagenfeld. "Max und Moritz", die von Wagenfeld gestalteten Salz- und Pfefferstreuer, stehen gleich daneben. Auch sie sollen hier zum Basteln anregen. Vor dieser Kulisse vermitteln Kunstpädagoginnen des Atelierhauses den Kindern ein wenig Hintergrundwissen zu Wagenfeld, Marcks und Arps.

Die Kleinen hören aufmerksam zu. Gerade eben erst hat Kerstin Holst, die Leiterin des Kinder- und Jugendateliers, den Mädchen – Jungen sind an diesem Tag nicht zugegen – von der Liebe Marcks’ zu klassischen Figuren wie Dreiecken, Rechtecken und Kreisen berichtet. Schon finden die jungen Zuhörerinnen in Marcks’ bronzenem Hasen alles wieder: "Der hat einen dreieckigen Kopf, einen dreieckigen Schwanz, und er hat kreisrunde Augen", sagt etwa die neunjährige Izel.

Qualität vor Quantität

Dunkelhäutiges Kind betrachtet bronzene Hasen
Hält von Bronze mehr als von Ton und Knete: Victoria. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Für die ebenfalls neunjährige Victoria steht zudem fest, dass auch sie, genau wie einst Marcks, am liebsten aus Bronze einen Hasen fertigen würde – nicht etwa aus Pappe, Ton oder Knete: "Der würde doch sonst kaputt gehen", begründet sie ihre Vorliebe für das Edelmetall. Davon unberührt fängt auch Victoria klaglos erst einmal mit Papier und Schere an, schneidet und klebt sich einen Hasen zurecht. Es herrscht eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre im Atelier.

Besser als freier Eintritt?

Grauhaarige Frau bastelt mit jungen Mädchen
Zeigt den Kindern im Atelierhaus Roter Hahn, wie man eine Schablone bastelt: Kerstin Holst. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Die Idee für die interaktive Galerie im Roten Hahn mit originalen Objekten großer Künstler sei aus der kürzlich in Bremen schwelenden Debatte um Museumsbesuche bei freiem Eintritt heraus entstanden, sagt Kerstin Holst. Das Gerhard-Marcks-Haus, mit dem Kultur vor Ort schon lang kooperiert, und das Wilhelm-Wagenfeld-Haus, der neue Kooperationspartner des Gröpelinger Kulturvereins, hätten sich gegen den kostenlosen Eintritt für jedermann ausgesprochen. "Weil dann wahrscheinlich kaum andere Leute als sonst in die Museen kämen, nur eben ohne dafür zu bezahlen", erklärt Holst.

Das Ziel aber bestehe darin, ein neues, weniger privilegiertes Publikum, idealerweise Kinder und Jugendliche, für Kunst zu begeistern, Jungen und Mädchen, die auf den üblichen Wegen kaum mit der Kunst in den Museen in Berührung kämen. "Viele der Kinder hier kommen kaum aus Gröpelingen raus", fügt Holst hinzu.

Umso näher habe der Schluss gelegen, nicht nur mit Gröpelinger Schulklassen zu den innerstädtischen Museen zu fahren, sondern auch einige Objekte zu den Kindern nach Gröpelingen zu bringen – ins Atelierhaus Roter Hahn: zum Anfassen. "Es ist Herrn Hartog (Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses, die Redaktion) ganz wichtig, dass alle etwas von der Kultur in unserer Stadt haben. Und unsere Kinder finden die Objekte aus dem Gerhard-Marcks-Haus toll", sagt Holst mit Blick in Richtung des Hasen.

Eineinhalb Jahre für die Kreativität

Junges Mädchen bastelt etwas mit einer Schere
Kann nicht nur Hasen basteln: Lara. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Vorerst für eineinhalb Jahre wird das Atelierhaus Roter Hahn in dem Projekt "Auf den Tisch!" Kunst aus dem Gerhard-Marcks-Haus und Designer-Stücke aus dem Wilhelm-Wagenfeld-Haus Gröpelinger Kindern und Jugendlichen nahebringen. Doch nicht nur die Kinder sollen etwas davon haben. So werde am Ende auch im Gerhard-Marcks-Haus sowie im Wilhelm-Wagenfeld-Haus ein Tisch das dortige Publikum darüber informieren, wie die Kinder im Roten Hahn mit den Objekten der großen Meister gearbeitet haben, berichtet Holst. Eine klassische Win-Win-Situation also. Umso mehr, wenn es den Museen auf diese Weise glücken sollte, das eine oder andere Kind für seine Ausstellungen zu begeistern.

"Wir freuen uns alle sehr auf die kommenden eineinhalb Jahre", sagt Projektleiterin Kerstin Holst dazu. Und die neunjährige Lara kündigt schon einmal an: "Ich kann nicht nur Hasen basteln." Das wird sie den Gästen des Roten Hahns sicher demnächst beweisen.

Dieser Mann will Menschen die Hemmung nehmen, ein Museum zu betreten

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 3. Dezember 2022, 19.30 Uhr