Bremer Methadon-Klinik hilft Abhängigen – und beschwichtigt Anwohner
Methadon ist ein Ersatzstoff für Opiatabhängige und soll helfen, die Sucht zu überwinden. Die größte Methadonklinik Bremens ist nun nach Walle gezogen. Ein Ortsbesuch.
Am Rande des Gewerbegebiets in Walle sind die Container der provisorischen Methadonklinik von Ameos aufgebaut. Zum Tag der offenen Tür flattern Luftballons am Geländer. Vor der Klinik steht die Praxismanagerin Kathlien Bremkamp in leuchtend orangenem Sakko: "Wir wollen uns heute der Nachbarschaft zeigen und um Verständnis für unsere Tätigkeit werben", sagt sie.
Da der Mietvertrag am alten Standort nicht verlängert wurde, steht die Klinik hier seit Anfang Februar. Seitdem holen sich etwa 300 Abhängige täglich ihr Methadon ab. Anwohner haben deswegen bereits Bedenken geäußert. Doch bis jetzt ist niemand aus der Nachbarschaft da. In der Zwischenzeit führt die Praxismanagerin einmal durch die Container: "Die Substituierten werden oben behandelt, hier unten ist die Hausarztpraxis", sagt sie. In der Klinik arbeiten fünf Ärzte aus der Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Suchtmedizin zusammen, es wird also auch eine reguläre hausärztliche Versorgung angeboten.
Praxis soll schnell aus Containern ausziehen
Kernstück in der Vergabestelle ist ein Automat, der per Fingerabdruckscanner den Patienten die verschriebene Dosis abfüllt. "Wenn man in den Containern auf und abläuft, kommt die Waage leider durcheinander, deswegen müssen wir aufpassen, dass nicht zu viele Leute gleichzeitig im Container sind", sagt Bremkamp. Die Container will das Team so bald wie möglich verlassen und in das benachbarte Gebäude umziehen. "Wir befinden uns derzeit noch in Verhandlungen mit der Stadt, wir brauchen Fördermittel, um das Gebäude zu renovieren", sagt die Praxismanagerin.
Auf der anderen Straßenseite gehen gerade die Nachbarn mit ihrem Hund spazieren. Uwe Gerecke und sein Sohn Marlon Prestin-Gerecke betreiben nebenan eine Baugerätevermietung. Mit der Situation sind sie unzufrieden. "Wir sind kalt davon überrascht worden", sagt der Sohn. "Wir haben hier schon Spritzen gefunden und ausgeräumte Portemonnaies werden bei uns über den Zaun geworfen." Außerdem macht den beiden die Parksituation Sorgen. Trotzdem nehmen sie das Gesprächsangebot der Klinik an.
Nachbarn machen sich Sorgen
"Uns wurde eben Kaffee angedroht", witzelt Uwe Gerecke, als er und sein Sohn die Container betreten, die beiden werden sogleich mit Schnittchen, Kuchen und Kaffee versorgt. Man kommt schnell ins Gespräch. "Der Großteil unserer Patienten ist nicht abhängig", sagt Chefarzt Christian Runge mit Blick darauf, dass die Mehrheit der Patienten zur hausärztlichen Versorgung kommt und nicht in die Methadon-Stelle. "Wir werden mehr Parkplätze ums Eck besorgen", verspricht er. Auch Prestine-Gerecke gibt sich diplomatisch.
Man muss jetzt das Beste aus der Situation machen.
Anwohner Marlon Prestin-Gerecke
Runge kennt die Sorgen der Nachbarn: "Wir hatten Probleme mit Diebstählen in einem Supermarkt, aber das soll schon deutlich besser geworden sein." Außerdem hat die Klinik einen Aschenbecher aufgestellt und ein Sicherheitsmann passt morgens auf den Verkehr und einen reibungslosen Klinikbetrieb auf.
Wenn der Chefarzt über seinen Beruf spricht, merkt man, dass er mit Leidenschaft dabei ist: "Unsere Patienten sind Opiatabhängige. Hier kriegen sie Methadon, das ist ein Angebot, legal zu leben." Legal leben will auch Paul Weber. Der 24-Jährige, der eigentlich anders heißt, ist seit drei Jahren bei einem anderen Bremer Hausarzt substituiert. Nach einer Nahtoderfahrung wollte er von seiner Sucht loskommen: "Ich konnte mein Herz nicht mehr spüren, mein ganzer Körper hat gekribbelt, da habe ich gesagt, dass ich nicht draufgehen will, dass ich ein Leben ohne Drogen möchte." Weber hat als Teenager fünf Jahre konsumiert, durch die Substitution kann er mittlerweile studieren und nebenbei in einem Café arbeiten.
Patienten werden regelmäßig auf Drogen getestet
Die Aufnahme ins Programm beschreibt Runge so: "Der Patient wird erst mal medizinisch aufgenommen, es wird Blut abgenommen und dann wird ein Behandlungsvertrag geschlossen." Auch Weber kennt diese Prozedur von seinem Arzt: "Ich musste vorher noch Urintests und ein EKG machen“, sagt er. Die Wartedauer habe zwei Monate betragen. "Ich war in dieser Zeit gezwungen noch weiter zu konsumieren."
In der Praxis testen sie die Patienten regelmäßig auf Drogen. "Der Rückfall gehört zur Erkrankung", sagt Runge. "Man muss dann mit den Leuten ins Gespräch kommen, warum sie rückfällig werden", sagt er. "Es gibt regelmäßig Drogentests und viele haben Beikonsum. Manche fliegen deswegen raus", sagt Weber.
Die Patienten müssen jeden Tag zu der Klinik und ihre Dosis unter Aufsicht der Ärzte einnehmen. Es gibt aber auch Ausnahmen von dieser Regel: "Wenn der Patient keinen Beigebrauch, keine Rückfälle und einen Grund hat, warum er nicht zu den Vergabezeiten kommen kann, dann gibt es die Möglichkeit für ein Take-home-Rezept", sagt Runge. Auch Weber hat so ein Rezept, damit er Methadon für eine Woche mit nach Hause nehmen kann. Für ihn ist das wichtig, damit er seinem Studium und seiner Arbeit ungestört nachgehen kann. "Selbst mit dem Rezept ist man aber sehr eingeschränkt, länger als eine Woche kann ich nicht weg."
Runge schätzt, dass etwa 15 bis 20 Prozent seiner Patienten berufstätig sind. "Selbst arbeitende Patienten wollen das Rezept oft nicht, weil sie sagen, dass sie damit Bockmist machen oder es verlieren." Außerdem verkaufen einige Patienten ihre Dosis dann auf dem Schwarzmarkt, "das ist einer der Gründe, warum ich das nur ungern mache", sagt Runge.
Anwohner wollen im Gespräch bleiben
Am Ende des Tages zieht man in der Suchtklinik ein positives Fazit. Mehrere Unternehmer aus der Nachbarschaft und ein paar Anwohner sind gekommen: "Wir kamen gut ins Gespräch und ich hoffe, dass wir Ängste nehmen konnten", sagt die Praxismanagerin. "Ich denke, dass wir miteinander im Gespräch bleiben, das ist uns auch lieber, als die Mauer immer höher zu bauen", sagt Prestine-Gerecke. Ihre Bedenken sind aber nicht zerstreut. Die beiden haben mittlerweile eines ihrer Verkaufsfenster vergittert und planen noch weitere Sicherheitsmaßnahmen. "Hoffentlich können wir dann in einem halben Jahr sagen, dass nichts Schlimmes passiert ist", sagt der Vater.
Die Verantwortung für die Situation sieht Prestine-Gerecke bei der Politik. "Ich finde so eine Klinik sollte nicht in einen Container umziehen müssen, wo es Probleme mit dem Vergabeautomat gibt." Er vermutet aber, dass sich die Parkplatzsituation entspannt, falls die Klinik in das Gebäude umzieht. "Das wäre schon eine erhebliche Entlastung, weil der Wartebereich dann nicht mehr auf der Straße ist."
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. März 2024, 19:30 Uhr