Interview

Das Auto teilen mit Fremden? So professionalisierte Bremen eine Idee

Eine blaue Mobilpunkt Säule kennzeichnet den Carsharing Standpunkt

20 Jahre Carsharing in Bremen

Bild: Radio Bremen | Hannah Schmidt

Fürs Klima und die Umwelt macht die Idee Sinn: Ein Auto für einen Anlass bezahlbar zu mieten, statt eins zu kaufen. Das Carsharing wurde in den 90ern erfunden. Bremen war Vorreiter.

Schon in den 90er Jahren startet in Bremen das Carsharing, damals noch nahezu unsichtbar. Mit zwei Standpunkten und zehn Autos zum Ausleihen ging Bremen 2003 dann offiziell an den Start. Das erste Jahr war sehr erfolgreich, wie Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität bei der Stadt Bremen, sagt. 20 Jahre später werden laut Studien 7.500 Autos in der Stadt durch das Carsharing ersetzt. Das sind zusammengerechnet 40 Kilometer Autoschlange. Glotz-Richter erklärt, welchen Einfluss das bei einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung macht.

Michael Glotz-Richter fährt mit seinem Fahrrad durch eine Bremer Fahrradstraße.
Auch gerne mit dem Fahrrad unterwegs: Michael Glotz-Richter. Bild: Radio Bremen | Lina Brunnée

Offiziell kann man sagen, dass die Gründung 20 Jahre her ist, aber es gab vorher schon so eine Art Carsharing, oder?

Carsharing ist 1990 in Bremen gestartet, quasi als Verein, auf ganz kleinem Maßstab. Bis 2003 waren die Stationen aber immer irgendwo versteckt – auf Kirchenparkplätzen, Behördenparkplätzen, irgendwelchen Hinterhöfen.

Also eine konspirative Geschichte? Man musste durch irgendwelche dunklen Hinterhöfe laufen und sich ein bisschen was trauen?

Naja, also konspirativ nicht, aber es war doch noch relativ versteckt. Und 2003 sind wir damit dann in den Straßenraum gegangen. Also direkt auf die Straße und wurden dadurch viel sichtbarer. Und damit wurde das Carsharing auch viel attraktiver: Die Wege sind kurz, man sieht es, es ist präsent, leicht erreichbar und auch recht bequem, wenn man das Auto zurückbringt und immer wieder an der gleichen Stelle abstellen kann. Das ist ja ein Riesenvorteil.

Ist die Zahl haltbar, dass es durch diese Maßnahme jetzt 7.500 Autos weniger in der Stadt gibt, die im privaten Besitz sind?

Also die Carsharing-Nutzerinnen und -Nutzer in Bremen haben 7.500 Autos abgeschafft über die Zeit. Wir haben jetzt ungefähr 28.000 Menschen in Bremen, die Carsharing nutzen. Und wenn wir mal diese Zahl – 7.500 Autos, die wir sonst mehr hätten – gegenüber stellen mit Hochgaragen, wären das alleine schon 150 Millionen Euro, die man investieren müsste. Also es ist eine sehr intelligente Art und Weise die Straßenräume zu entlasten.

Aber die Carsharing Autos sind ja auch irgendwo. Wahrscheinlich nehmen sie nicht so viel Platz weg, weil man sich sie teilt, oder?

Genau. Jedes Carsharing-Auto ersetzt ungefähr 16 private Autos. Und damit ist es eine ganz deutliche Entlastung. Für Quartiere wie Findorff, Walle, Neustadt, Viertel ist das eine ideale Sache. Viele Menschen brauchen ein Auto ja nicht tagtäglich, sondern ab und zu. Und dann ist Carsharing die beste Alternative zum eigenen Auto.

Carsharing-Station von Cambio in Bremen an einem Mobil-Punkt (Archivbild)
An rund 50 Mobilpunkten in Bremen können cambio-Autos genutzt werden. Bild: Imago | Eckhard Stengel

Ich habe mal die Zahl gelesen, dass man das Auto im Schnitt eine Stunde am Tag nutzt, wenn überhaupt.

Und 23 Stunden steht es herum. Wir haben im Viertel Untersuchungen gemacht, die ergeben haben, dass 26 Prozent der Autos von Dienstag bis Freitag nicht einen Millimeter bewegt wurden. Das ist ein deutliches Signal.

Ich möchte allerdings trotzdem mal eine Alltagsbeobachtung gegenüberstellen: Die Staus nehmen zu, die Verkehrsdichte wird größer, es gibt kaum Parkplätze, immer weniger Platz. Irgendwie steht das dem doch entgegen.

Wir haben ein verrücktes Phänomen: Die Autos sind ungefähr einen halben Meter länger und zwanzig Zentimeter breiter geworden über die letzten zwanzig Jahre. Da wo früher zehn Autos geparkt waren stehen heute vielleicht noch sechs. Das erhöht natürlich den Druck auf den Kessel und wir müssen auch sehen, dass wir mit dem Straßenraum anders umgehen. Wir brauchen Platz für Elektro-Ladesäulen, für Fahrradständer, für Lieferzonen. Es gibt eine ganze Menge an Ansprüchen und wir können den Platz nicht einfach nur mit geparkten Autos verschwenden.

Im Umland steigt die Zahl der Kfz-Zulassungen kontinuierlich an, im Stadtgebiet sind sie tatsächlich auf stetig gleichem Niveau. Woran liegt das? Gibt es zu wenig Carsharing im Umland?

Gerade kleine Gemeinden sind ja deutlich Auto-abhängiger. Da sind die Wege länger, da ist die ÖPNV-Anbindung deutlich schlechter als hier in der Stadt. Wer ins Umland zieht macht sich selbst natürlich etwas abhängig, gleichzeitig steigt aber auch die Carsharing-Versorgungsdichte im Umland an. Also Achim, Lilienthal, Delmenhorst – da ist es auch angekommen. Es ist ja eine marktwirtschaftliche Angelegenheit. Das heißt, da muss auch Nachfrage da sein, damit das Angebot da hin geht.

Jetzt möchte ich noch mal auf die Vorreiter-Rolle von Bremen zu sprechen kommen. Sie haben ein T-Shirt an: 'Weltausstellung'. Bremen war groß in der weiten Welt mit diesem Projekt, oder? Können Sie das erklären?

Ja, wir haben damals rechtliches Neuland betreten. Und das auch strategisch eingebunden. Also sowohl im Wohnungsbau, als auch den neuen Mobilpunkten in Bremen. Und da haben viele Städte geguckt und sich gefragt 'Was machen die da?' Andere Städte haben auch Mobilpunkte, da steht dann zum Beispiel in Nürnberg, Rostock und Ulm drauf: 'Mit freundlicher Genehmigung der Freien Hansestadt Bremen'. Und dann ist auch China auf uns aufmerksam geworden. Wir wurden eingeladen zur Weltausstellung und hatten dort einen Pavillion 'Sharing the future' mit über einer Million Besucher. Und auch in China wächst das Interesse am Carsharing. Und Bremen ist weltbekannt dafür.

Keine festen Plätze: Wie funktioniert das neue Car-Sharing von Cambio?

Bild: RadiO Bremen

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Autor

  • Porträt Jörn Albrecht
    Jörn Albrecht Moderator

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 15. April 2023, 9:50 Uhr