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Was passiert, wenn Eltern Vorsorgetermine für ihre Kinder verpassen?

Versäumte Vorsorge: Wenn Eltern Kinderarzttermine verpassen

Bild: dpa | photothek/Ute Grabowsky

Eltern versäumen häufiger, ihre Kinder zu den wichtigen Untersuchungsterminen anzumelden. Welche Konsequenzen das hat und wieviel Aufwand das für die Kinderarztpraxen bedeutet.

Warum gibt es die regelmäßigen Vorsorge-Untersuchungen für Kinder?

Die regelmäßigen Vorsorgen beim Kinderarzt beginnen direkt nach der Geburt. Bis zum sechsten Lebensjahr werden die Familien vom Gesundheitsamt zu jeder Untersuchung (U4-U9) jeweils schriftlich eingeladen. Das betrifft im Land Bremen rund 47.000 Kinder. Die Untersuchungen sollen dafür sorgen, dass Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt und behandelt werden und die Kinder wichtige Impfungen bekommen. 

Was passiert, wenn die Eltern ihre Kinder nicht rechtzeitig zum Vorsorgetermin bringen?

Jede Vorsorge-Untersuchung (U4-U9), die in der Kinderarztpraxis stattgefunden hat, wird an das Gesundheitsamt gemeldet. Erscheinen die Kinder nicht, bekommen die Eltern ein Erinnerungsschreiben. Wenn sie darauf nicht reagieren, kommt das Kind ins so genannte "Trackingverfahren" des Gesundheitsamtes. Dann machen Mitarbeiter des Gesundheitsamts einen Hausbesuch bei der Familie.

Im Jahr 2024 sind 12.429 Kinder im Land Bremen in diesem Trackingverfahren gelandet. 2019 waren es noch 10.282 Kinder.

Welche Gründe gibt es dafür, dass Kinder nicht zur Vorsorge gebracht werden?

Die Kinderarztpraxen sind voll ausgelastet, wer einen Vorsorgetermin buchen möchte, muss sich daher schon sehr früh um einen Termin bemühen. Am besten, bevor das erste Einladungsschreiben vom Gesundheitsamt kommt. Häufig gerät das im Alltag in Vergessenheit.

Yvonne Graef ist Mutter von vier Kindern und wohnt in Walle. Sie beschreibt, warum ihr auch schon Vorsorge-Termine durch die Lappen gegangen sind: "Eltern haben so viele Termine zu koordinieren, gerade mit mehreren Kindern ist das herausfordernd. Da ist es mir auch schon passiert, dass ich Vorsorgetermine vergessen habe. Es ist natürlich unangenehm, wenn man vom Gesundheitsamt daran erinnert wird."

Melanie Klopsch ist seit 18 Jahren niedergelassene Kinderärztin und beobachtet, dass in den letzten Jahren die Eltern vermehrt Probleme damit haben, zuverlässig zu sein.

Die Bremer Kinderärztin Melanie Klopsch in ihrer Praxis
Die Bremer Kinderärztin Melanie Klopsch. Bild: Radio Bremen

Besonders ärgerlich sei es, wenn Eltern einen Vorsorgetermin ausmachen, und dann einfach gar nicht mit ihren Kindern erscheinen. Das komme in der Praxis von Melanie Klopsch in Walle im Schnitt jeden Tag einmal vor. Dabei reserviert die Praxis für jede Untersuchung ein Zeitfenster von 30 Minuten. "Wir haben dann das Gefühl, wir sind hier engagierter als die Eltern", sagt die Kinderärztin. "Manche Menschen scheinen gar nicht zu wissen, dass ein Termin in einer Arztpraxis ein hohes Gut ist."

Sie und ihre Kolleginnen investieren in die Vorsorgetermine viel Zeit und müssen ja auch noch die kranken Kinder behandeln. Ein Kinderarzt in Walle müsse die Versorgung von 2.500 Kindern leisten – da sei es nicht möglich, noch die Nachlässigkeiten der Eltern aufzufangen. In ihrer Praxis gibt es daher auch keinen Ersatztermin, wenn eine Familie den Termin verbummelt hat.

Es kann aber auch andere Gründe dafür geben, dass das Gesundheitsamt keine Rückmeldung über eine erfolgte Untersuchung bekommen hat. Etwa, wenn bei der Rücksendung der Bestätigung etwas nicht geklappt hat, wenn die Familie gerade umgezogen ist oder die Eltern Vorsorgetermine beim Kinderarzt generell ablehnen.

Was können Familien tun, die nicht rechtzeitig einen Termin bekommen oder ihren Termin vergessen haben?

Wenn die Familie bei der Arztpraxis keinen Termin ausgemacht hat und auch – aus welchen Gründen auch immer – keinen mehr bekommt, kann sie die Untersuchung im Gesundheitsamt nachholen. Simon Walz arbeitet dort als Kinderarzt und Referatsleiter. "Wer bei uns im Gesundheitsamt eine Vorsorgeuntersuchung nachholen möchte, bekommt auf jeden Fall einen Termin. Wir sind dazu gesetzlich verpflichtet", sagt er. "Und oft haben Eltern gute Gründe dafür, dass es mit der Vorstellung beim niedergelassenen Arzt nicht geklappt hat. Sie müssen sich aber hier gar nicht rechtfertigen."

Doch Simon Walz ist es auch wichtig zu betonen, dass die Untersuchung im Gesundheitsamt immer als Notlösung gesehen werden sollte, niemals als gute Alternative zur vielleicht vollen Arztpraxis.

Simon Walz ist Kinderarzt und Referatsleiter im Bremer Gesundheitsamt.
Simon Walz arbeitet als Kinderarzt und Referatsleiter im Gesundheitsamt Bremen. Bild: Radio Bremen

"Natürlich ist es besser, wenn der behandelnde Kinderarzt die Vorsorge macht", sagt Simon Walz. Denn die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen kennen das Kind im besten Fall über Jahre und seien viel besser in der Lage, die Entwicklungsschritte zu beurteilen.

Was passiert, wenn die Familien für das Gesundheitsamt gar nicht erreichbar sind?

Wenn die Eltern auf die Erinnerungsschreiben nicht reagieren, versuchen Mitarbeitende des Gesundheitsamtes per Hausbesuch Kontakt mit den Familien aufzunehmen.Wenn das scheitert und die Eltern nicht greifbar sind, gibt es eine Meldung an das Jugendamt, das dann weitere Schritte einleitet, um das Kindeswohl zu sichern. Etwa vier Prozent der eingeladenen Familien werden ans Jugendamt gemeldet, weil sie nicht erreichbar sind.

Warum gibt es dieses aufwendige Einladungsverfahren in Bremen?

Das hat mit dem wohl bekanntesten Bremer Fall von Kindesmisshandlung zu tun. Als der kleine Kevin im Jahr 2006 starb, weil er schutzlos seinem gewalttätigen Ziehvater ausgesetzt gewesen war, begann eine Debatte darüber, wie das hätte verhindert werden können. Menschen in verschiedenen Institutionen hatten Fehlentscheidungen getroffen. Der Bremer Fall beschäftigte die Bundespolitik ebenso wie die Länder. In Bremen beschloss der Senat damals ein "Sofortprogramm zur Verbesserung des Kindeswohls", das verschiedene Präventions-Maßnahmen umfasste. Darunter auch das System mit Untersuchungseinladungen und Kontrollen, wie wir es heute kennen. Es wurde 2007 eingeführt.

Sind die Vorsorgeuntersuchungen seitdem auch verpflichtend?

Es gab nach Kevins Tod eine bundesweite Diskussion darüber, ob man die Eltern gesetzlich verpflichten könne, ihre Kinder regelmäßig zum Kinderarzt zu bringen. In Bremen setzte sich das am Ende nicht durch, weil die möglichen Sanktionen gegen die Eltern am Ende dem Kind schaden würden, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. "Man stelle sich vor, die Eltern können eine Geldstrafe nicht zahlen, kommen in Haft, die Kinder werden ihnen weggenommen – das sind alles Maßnahmen, die man nicht ergreifen sollte."

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Autorin

  • Nina Cöster
    Nina Cöster Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. April 2025, 19:30 Uhr