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Bremer Experte kritisiert: Unternehmen kaufen sich frei von Inklusion

Inklusion: "Wir müssen einen Arbeitsmarkt entwickeln, der inklusiv ist"

Bild: dpa | Jens Wolf/Symbolbild

Werkstätten für Menschen mit Behinderung stehen in der Kritik: wenig Geld, wenig Teilhabe. Ein Bremer Experte erklärt, welche Chancen es sonst gibt – und wo Herausforderungen liegen.

Wie viele Menschen arbeiten in Bremen in Werkstätten?

Dazu gibt es Zahlen der Agentur für Arbeit Hannover. Ende Oktober 2023 arbeiteten 2.585 Menschen in Werkstätten und in Einrichtungen, die Angebote zur beruflichen Bildung für Menschen mit Behinderungen bieten. Das sind weniger als noch im selben Zeitraum im Jahr 2022. Damals waren es noch 2.642.

Was bedeutet es, wenn Menschen einmal einen "Werkstattstatus" haben?

Um überhaupt erst in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten zu dürfen, muss jemand schwerbehindert sein. Außerdem muss die Person voll erwerbsgemindert sein. Das heißt, ihr ist keine Arbeit von mehr als drei Stunden auf dem normalen Arbeitsmarkt möglich. Menschen, die diese Anforderungen erfüllen, haben ein Recht auf einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Das ist im Sozialgesetzbuch unter "§ 220 SGB IX Aufnahme in die Werkstätten für behinderte Menschen" geregelt.

Dann muss die Person aber auch ein "Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit" in der Werkstatt erfüllen. Wie diese aussehen kann, das ist nicht genauer definiert. "Das ist gleichzeitig auch eine Grenze", erzählt Heinz Becker. Der Hochschullehrer hat 40 Jahre mit Menschen mit Behinderung gearbeitet. "Wer das nicht leisten kann, hat keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt." Über diese Status entscheiden dann die Arbeitsagenturen.

Wer in einer Werkstatt beschäftigt ist, der ist arbeitnehmerähnlich beschäftigt. "Das heißt, er oder sie hat keinen Anspruch auf Berufs- und Betriebsrat,oder einen Tariflohn. Arbeitnehmerschutzrecht wie die Sozialversicherung bleiben aber", so Becker.

Was für Möglichkeiten haben sie ohne diesen Status, was müssen sie dann aber auch schaffen?

Eine Möglichkeit ist die unterstützte Beschäftigung. Unternehmen können dann Beratung bekommen, wie sie ihren Arbeitsort barrierefreier gestalten oder ein Mensch mit Behinderung erhält soziale Betreuung während der Arbeit. Die Regeldauer für diese Unterstützung ist drei Jahre, so Becker.

Ein weiteres Problem: Der erste Arbeitsmarkt sei oft nicht barrierefrei und viele Menschen mit Behinderung haben zudem mit Vorurteilen zu kämpfen, erzählt Becker. Hilfsmittel sollen dabei Instrumente wie finanzielle Zuschüsse für Unternehmen sein. Das kann klappen – tut es aber in der Realität nicht immer. Häufig gehen diese Zuschüsse damit einher, dass eine Person nach einer beschränkten Zeit in ein normales Arbeitsverhältnis entlassen wird.

"Gerade bei einer geistigen Behinderung kann das schwierig werden. In Handwerkbetrieben funktioniert das allerdings oft." Man dürfe aber nicht außer Acht lassen: "Viele Menschen fühlen sich in einer Werkstatt oft sehr wohl und wollen ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen", sagt Becker.

Was für Auswirkungen hat das auf ihr berufliches Leben?

Offiziell müssen Werkstätten Menschen mit Behinderung wieder in das Berufsleben eingliedern. In der Realität passiert das aber oft nicht. "Im Bundesdurchschnitt schaffen das nur ein Prozent", erzählt der Bremer Experte. "Aber auch der erste Arbeitsmarkt ist ein Problem. Der wartet nicht auf Menschen mit Behinderung."

Nicht nur da sieht Becker einen Grund für die fehlende Eingliederung. "Es ist ein Systemfehler. Werkstätten werden durch öffentliche Gelder finanziert, müssen sich aber auch über einen gewissen Anteil selber finanzieren." Das passiere oft durch die verkauften Produkte, die die Mitarbeiter herstellen.
Diese Leistung und den Umsatz geben die Werkstätten ungern an den ersten Arbeitsmarkt ab. "Das macht keiner absichtlich, aber so ist das System", betont Becker.

Welche Kritik gibt es noch an dem Modell der Werkstätten?

Viele Werkstätten finden sich oft am Rande von Industriegebieten. Oft wird deshalb kritisiert, dass Menschen mit Behinderungen am Rande der Gesellschaft arbeiten. In Bremen sei das nicht der Fall, so Becker.

Ein anderer Kritikpunkt: die Bezahlung. Die Grünen-Politikerin Kathrin Langensiepen nennt das Werkstatttsystem im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland "eine Art Ausbeutung". Auch Becker kritisiert die Bezahlung: "Im Bundesdurchschnitt verdienen Menschen in einer Werkstatt monatlich 200 Euro. Das ist viel zu wenig." Hinzu kommen Sozialhilfezahlungen.

Der Druck zukünftiger Klientinnen und Klienten auf die Werkstätten sei ebenfalls hoch: "Wer aus einem integrativen Kindergarten und einer integrativen Schule kommt, der will nicht nach der Schule Vogelfutter einpacken für 200 Euro", so der Bremer Experte.

Inwiefern sind Arbeitgeber auf dem ersten Arbeitsmarkt verpflichtet?

Arbeitgeber sind dazu verpflichtet eine bestimmte Anzahl an Menschen mit Behinderung zu beschäftigen – können sich aber auch freikaufen. Ab 20 Mitarbeitern muss die Quote an Menschen mit Behinderung bei fünf Prozent liegen, das ist gesetzlich festgelegt im Sozialgesetzbuch (§ 154 SGB IX).

Dass viele Unternehmen lieber Geld zahlen, statt Menschen mit Behinderung einzustellen, kritisiert Becker: "Das ist ein lächerlich geringer Betrag als Ausgleichsabgabe." Um diese Zahlung zu vermeiden, können Unternehmen auch Aufträge an Werkstätten abgeben. "Sie können sich also von der Ausgleichsabgabe auch wieder freikaufen", sagt Becker.

Wie gelingt die Inklusion Schwerbehinderter in den Arbeitsmarkt?

Bild: Radio Bremen
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Autorin

  • Marie Roters
    Marie Roters Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. November 2024, 19:30 Uhr