Interview
Mehr Gewalt gegen Polizisten? Bremer Kriminologe widerspricht
Die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu, so das Bundeskriminalamt. Ein Kriminologe kritisiert vor allem die dabei verwendete Definition von Gewalt.
Das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamts (BKA) zeigt: Im Jahr 2023 wurden im Land Bremen 21 Prozent mehr Gewalttaten gegen Polizisten angezeigt als im Jahr zuvor. Das ist ein sehr viel stärkerer Anstieg als im Rest Deutschlands, in dem acht Prozent mehr Angriffe gegen Beamte von der Polizei angezeigt wurden.
Doch an den Statistiken und Zahlen, auf denen sie beruhen, gibt es immer wieder Kritik. Wir haben mit dem Bremer Kriminologen Johannes Aschermann darüber gesprochen, warum er das Lagebild für wenig aussagekräftig hält.
Herr Aschermann, das BKA sagt, die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu, besonders in Bremen. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Ich finde, das ist irreführend. In dem Lagebild werden bewusst "Nicht-Gewalt-Delikte" mit als Gewalt-Delikte gezählt: Im Wesentlichen handelt es sich nicht um Gewaltdelikte, sondern um Dinge, bei denen man nach der Alltagsdefinition nicht sagen würde: Da hat jemand Gewalt erfahren. Beispiel Widerstand: Da braucht es gar keinen Angriff auf einen Beamten, da reicht es, wenn sich jemand mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt widersetzt.
Wenn Sie sich aus dem Griff eines Polizisten losreißen und weglaufen, dann ist der Widerstand schon erfüllt, ohne, dass der Polizist verletzt worden wäre oder auch nur in Gefahr gekommen wäre.
Johannes Aschermann, Kriminologe an der Universität Bremen
Bei genauerer Betrachtung sind diese "Nicht-Gewalt-Delikte" wie Widerstand, Nötigung oder Bedrohung fast ausschließlich für die Zuwächse verantwortlich. Bei den schweren und gefährlichen Körperverletzungen ist ein Rückgang zu beobachten.
Können die jetzt veröffentlichten Zahlen denn dann überhaupt irgendetwas aussagen?
Es gibt aus der Kriminologie schon immer die Kritik, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik kaum belastbare Aussagen zulässt. Das liegt auch daran, dass sie nur Verdachtsfälle enthält. Es wird überhaupt keine Aussage darüber möglich, was da am Ende rausgekommen ist.
Das sagt eben nur aus: Es wurde eine Strafanzeige aufgenommen und an die Staatsanwaltschaft weitergereicht. Ob die dann in der Folge vielleicht gesagt hat: Wir sehen das überhaupt nicht, das wird eingestellt. Oder aus dem versuchten Totschlag am Ende nur eine versuchte gefährliche Körperverletzung gemacht hat, das wissen wir gar nicht.
Es hängt also auch von den einzelnen Beamten ab, wie sie die Lage beurteilen?
Ja, die registrierten Fallzahlen können sich auch in Abhängigkeit davon entwickeln, wann, wo und wie solche Sachverhalte durch die Polizeibeamten angezeigt werden. Gerade bei dem Widerstands-Straftatbestand gibt es einen sehr großen Beurteilungsspielraum. Das kommt auf den Beamten an, ob er sich entscheidet, gegen jemanden, der versucht, sich loszureißen oder sich losreißt und dann wieder eingefangen wird, Anzeige wegen Widerstandes zu erstatten oder nicht.
Darüber hinaus ist auch die Opferzählung relativ ungenau. Es kann auch sein, dass eine Gruppe von drei Beamten auf jemanden zugeht, der dann einen Widerstand begeht. Dann werden möglicherweise auch drei Opfer gezählt, weil eben drei Beamte beteiligt waren.
Gibt es denn eine andere Zahl, an der man die Gewalt gegen Polizisten ablesen kann?
Erst da, wo wir die Körperverletzungsdelikte in den Blick nehmen, kann man sagen: Da muss es zumindest mal den Versuch einer Verletzung gegeben haben oder zu einer Verletzung gekommen sein. Etwas, bei dem man auch im Alltagssinne von Gewalt sprechen würde. Und bei den qualifizierten Körperverletzungsdelikten, also gefährlicher oder schwerer Körperverletzung, und bei noch schlimmeren Taten wie Totschlag oder Mord, da sind keine Zuwächse zu sehen.
Was könnte der Grund für so eine breite Gewaltdefiniton sein?
Man könnte darüber nachdenken, ob das mit dem Kalkül passiert, ein möglichst dringliches oder dramatisches Bild zu erzeugen. Weil sich darüber dann ja auch andere Forderungen rechtfertigen lassen. Von Seiten des BKA wird gesagt: Man wolle das ganze Spektrum des Phänomens beleuchten, deswegen wolle man da alles reinzählen, was auch nur im Ansatz vielleicht darunter gefasst werden könnte.
Es ist so, dass im Vorwort darauf hingewiesen wird, welche Straftaten wie gezählt werden. Es wird nicht gezielt getäuscht.
Das, was am Ende hängen bleibt, ist aber immer das Gleiche: Die Gewalt wird immer schlimmer und nirgendwo ist es so schlimm wie in Bremen. Dass das am Ende gar nicht aus dem Lagebild hervorgeht und es eigentlich auch gar nicht um Gewalt geht bei diesen Zuwächsen, das geht dann verloren.
Johannes Aschermann, Kriminologe an der Universität Bremen
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 14. Oktober 2024, 15 Uhr