Interview

Bremer Bahn-Mitarbeiter erklärt, warum er beim GDL-Streik mitmacht

Zwei Männer mit GDL-Westen halten sich gegenseitig im Arm.
Neben Lokführern und Zugpersonal streiken derzeit auch Mitarbeiter bei der Bahn-Infrastruktur. Bild: dpa | Frank Rumpenhorst

Wieder einmal streiken Mitarbeiter der Deutschen Bahn. Doch nicht nur Lokführer legen die Arbeit nieder. Und es geht auch nicht nur um die 35-Stunden-Woche.

Herr Carstens, mal ehrlich, sind Sie auch genervt von den vielen Streiks?

Ich verstehe, dass viele Menschen davon genervt sind. Und ja, ich selbst bin es auch. Ich wohne in Twistringen und arbeite in Bremen. Zur Arbeit pendele ich mit dem Zug. Und wenn mein Schichtwechsel sich mit einem Streikbeginn überschneidet, bin ich genauso betroffen wie andere Bahnreisende.

Marco Carstens, Fahrdienstleister der Deutschen Bahn am Bremer Hauptbahnhof.
Marco Carstens, Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn am Bremer Hauptbahnhof. Bild: Marco Carstens

Und trotzdem streiken Sie. Sitzt der Frust auf die stockenden Verhandlungen bei Ihnen und Ihren Kolleginnen so tief?

Ja. Das mag nicht für jeden Kollegen gelten. Aber bei denen, die gewerkschaftlich organisiert sind, ist das ganz klar mein Eindruck. Theoretisch wäre ja auch ein unbefristeter Streik möglich gewesen. Und ich habe den Eindruck, viele hätten tatsächlich auch wochenlang auf Geld verzichtet, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Der GdL-Chef Claus Weselsky ist ja sehr präsent. Teilen Sie in jedem Punkt seine Meinung?

Natürlich bin ich nicht in jedem Punkt seiner Meinung. Es ist aber ja völlig normal, dass man verschiedene Ansichten und Gedanken zu gewissen Themen hat.

Ein Beispiel: Was gerade sehr hochkocht, ist die 35-Stunden-Woche. Auf der einen Seite hätte ich die gerne. Und auch der Schichtdienst ist körperlich sehr fordernd und anstrengend. Ein paar Stunden weniger würden extrem helfen. Auf der anderen Seite macht man sich aber auch Gedanken darüber, wie so etwas in der Realität umgesetzt werden könnte, wenn wir aktuell nicht genügend Mitarbeiter haben. Ich selbst werde derzeit beispielsweise nach einem EVG-Tarifvertrag mit einer 39-Stunden-Woche bezahlt…

…die EVG ist die andere Bahn-Gewerkschaft, die bislang vor allem das Bahn-Personal außerhalb der Züge vertritt.

Genau. Und anders als die Mitarbeiter der GdL, die eine 38-Stunden-Woche haben, gilt für die EVG-Tarifverträge eine 39-Stunden-Woche. Faktisch liege ich aber im Schnitt bei einer 43-Stunden-Woche – es fehlen einfach Mitarbeiter. Wenn jetzt auf dem Papier eine 35-Stunden-Woche für mich zur Anwendung kommen sollte, sind ja trotzdem nicht mehr Kollegen vorhanden. Dann mache ich zunächst erstmal mehr Überstunden.

Was sich die Gewerkschaft erhofft, ist nun allerdings, dass durch eine 35-Stunden-Woche mehr Menschen die Bahn als attraktiven Arbeitgeber entdecken. Und das ist aus meiner Sicht nötig. Denn in Bremen konkurrieren wir ja beispielsweise mit Arbeitgebern wie Daimler oder Airbus.

Sie selbst sind Fahrdienstleiter, stellen Weichen und Signale, sorgen für einen reibungslosen Zugbetrieb. In diesem Tarifkonflikt wird aber meist vom "Lokführerstreik" gesprochen. Haben Sie das Gefühl, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass die GdL nicht nur Lokführer vertritt?

Ja, definitiv. Ich verfolge das ja auch in den Medien. Und ich finde es traurig, dass da kaum drüber berichtet wird. Wenn ich mich beispielsweise in meinem privaten Umfeld mit Menschen unterhalte, dann geht es oft schnell darum, dass der Arbeitgeber möglicherweise 36 Stunden angeboten hat, die Gewerkschaft aber auf 35 Stunden beharrt. Viele sagen dann, dass man doch für diese eine Stunde einen Kompromiss finden müsste.

Für mich als Fahrdienstleiter ist aber viel wichtiger, dass die Bahn derzeit offenbar nicht bereit ist, einen Tarifvertrag für die Infrastruktur zu verhandeln…

… also für die für Netze und Bahnhöfe zuständige DB InfraGo AG, die mehr als 61.000 Mitarbeitende beschäftigt.

Spätestens, wenn man in privaten Gesprächen diesen Punkt bringt, dass der Arbeitgeber offenbar gar keinen Tarifvertrag verhandeln will, bekommt man Verständnis für die schwierige Situation. Aus meiner Sicht ist die Verhandlung über die Infrastruktur der Knackpunkt des Tarifstreits – und nicht die 35-Stunden-Woche.

Sind Sie aber gleichzeitig nicht manchmal froh, dass Sie nicht dem öffentlichen Druck ausgesetzt sind, wie ihn Lokführerinnen und Lokführer gerade ertragen müssen?

Ich sag’s mal so. Ich bin schon dankbar, dass ich in Bremen am Hauptbahnhof nicht mit einer Uniform herumlaufen muss wie Lokführer oder das Zugpersonal. Denn diese Kolleginnen und Kollegen sind auf dem Weg zum Dienst als Ansprechpartner für aufgebrachte Bahnreisende direkt erkennbar.

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Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 12. März 2024, 19:30 Uhr