Interview
Experte: Das sollten Politiker bei Bremens Konflikt-Themen beachten
Sebastian Haunss erforscht an der Uni Bremen, was die Gesellschaft zusammenhält. Was das mit Debatten um Bäume, Autos und Notunterkünfte zu tun hat, erklärt er hier.
Herr Haunss, gibt es Bremische Themen, über die Sie richtig gerne streiten?
(Er lacht.) Das ist ja gleich eine schwierige Frage. Ich selbst gehöre eher nicht zu jenen, die sich an solchen Debatten beteiligen. Es gibt aber ja schon ein paar Themen, die in Bremen heiß diskutiert werden. Die Infrastruktur zum Beispiel, der Umbau der Stadt, nehmen wir die Martinistraße, die Straßenbahn oder das Parken. All das sind Themen, über die sich vielen Menschen in den vergangenen Jahren aufgeregt haben.
Sind Sie nicht einmal als Anlieger oder Anwohner von bestimmten Themen betroffen?
Ja, doch. Auch in meinem Viertel wird heiß diskutiert, was dort mit den Parkplätzen für Autos passieren soll. Ich denke, dass wir da natürlich versuchen müssen, zwischen den verschiedenen Anliegern irgendwie einen Kompromiss zu finden. Der Komponist kann jedenfalls nicht darin bestehen, dass man nach wie vor den kompletten Straßenraum den Autos kostenlos zur Verfügung stellt.
Nun entfernt die Stadt in manchen Stadtteilen, zum Beispiel gerade im Viertel, bald in der Neustadt und in Findorff, Hunderte Parkplätze komplett – ohne dass Anlieger zu Rate gezogen worden sind oder Alternativen bereitgestellt worden wären. Muss eine Stadt so vorgehen, um überhaupt Veränderungen voranzutreiben?
Natürlich müssen auch manchmal Entscheidungen getroffen werden, die einschränkend sind. Da gibt es dann immer auch Leute, die mit solchen politischen Entscheidungen unzufrieden sind.
Sie erforschen solche Konflikte. Welche Rolle spielen sie, wenn es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt geht?
Zunächst würde ich nicht von Streit sprechen. Ich würde eher von sozialen Bewegungen und Protesten sprechen. Das sind Konflikte, die typisch sind für Gesellschaften. Es gibt nun mal ganz viele Dinge, die geregelt werden müssen. Und es gibt unterschiedliche Ideen, wie das gemacht werden sollte, verschiedene Interessen unter konkurrierende Präferenzen. Das macht moderne Gesellschaften aus. Und es ist das Versprechen einer demokratischen Gesellschaft, diese Konflikte gewaltfrei zu lösen. Und zwar so, dass die gefundene Lösung am Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit eine hohe Legitimität hat und Anerkennung genießt.
Parkplätze hatten wir schon, Baumfällungen oder die Abschaffung von Schulnoten sind ähnliche Debatten. Stärken solche Konflikte den gesellschaftlichen Zusammenhalt – oder schaden sie ihm eher?
Sagen wir es mal so: Dass über diese Dinge öffentlich gestritten wird, ist gut. Dass die Leute sich nicht an die Gurgel gehen und diese Konflikte in der Regel ohne Gewalt ausgetragen, ist auch gut. Das zeugt davon, dass es sinnvolle Mechanismen gibt, damit umzugehen. Dass nicht einfach eine Gruppe sagen kann, so wird es gemacht und alles andere interessiert uns nicht.
Mal abgesehen von Wahlen, von welchen Mechanismen sprechen Sie?
Das geht natürlich über die Wahlen hinaus. Denn die finden ja nur in großen Abständen statt, also alle vier Jahre. In Bremen wurde ja sogar schon diskutiert, ob es nicht besser fünf Jahre sein sollten. Das Wahlkreuz ist zudem eine sehr generelle Entscheidung. Und viele dieser Konflikte, die dann aufbrechen, sind ja viel konkreter und werden durch Wahlprogramme nicht adressiert. Daher geht es bei diesen Konflikten vor allem darum, auf die Straße zu gehen, zu demonstrieren, Unterschriftenlisten zu sammeln, Petitionen einzureichen, Veranstaltungen zu machen und so für seine Positionen zu werben.
Was sollten aus Ihrer Forscherperspektive politische Akteure wie der Senat, aber auch Ortsbeiräte, beachten, wenn Sie Entscheidungen mit hohem Konfliktpotenzial treffen?
Es ist in jedem Fall eine gute Idee, Betroffene mit einzubeziehen, noch bevor die Entscheidung getroffen wird. Wichtig ist, dass bei den Beteiligten nicht der Eindruck entsteht, nur pro forma gehört zu werden. Es muss ein Verfahren sein, bei dem sie am Ende auch Einfluss auf den Ausgang haben.
Natürlich werden Entscheidungen letztlich oft nicht im Konsens getroffen. Es wird daher immer Menschen geben, die nicht einverstanden sind. Hier ist es aber wiederum Aufgabe der Politik, so zu entscheiden, wie die Gewählten das für sinnvoll halten – und zwar im Sinne des Gemeinwohls.
Was gut für das Gemeinwohl ist, wird die FDP vermutlich anders beurteilen als die Grünen.
Ja. Darüber bestehen unterschiedliche Einschätzungen. Die Einbeziehung von Interessengruppen muss aber auf jeden Fall berücksichtigt werden.
Menschen beteiligen sich in Bremen nämlich sehr unterschiedlich an politischen Prozessen. Umso höher das Einkommen und das Bildungsniveau ist, desto mehr beteiligen sie sich an Wahlen und an zivilgesellschaftlichen Prozessen. Um Politik zu machen, die nicht nur diejenigen mit den meisten Ressourcen berücksichtigt, muss man gucken, dass man daher auf die, die sich weniger beteiligen, vielleicht ein bisschen mehr zugehen.
Ist die Fähigkeit, eigene Interessen zu mobilisieren, auch ein Grund, warum Sammelunterkünfte für Asylsuchende in Bremen eher ungleich auf verschiedene Stadtteile verteilt sind?
Klar, die großen Flüchtlingsunterkünfte stehen nicht in Oberneuland und in Schwachhausen. Sie stehen eher dort, wo in Bremen eher einkommensschwächere Gruppen wohnen. Woran das liegt, darüber kann ich aber nur spekulieren. Ob es an der Einflussnahme von Bürgerinnen und Bürgern liegt oder an der Verfügbarkeit von Flächen oder Grundstückspreisen, das müsste erst untersucht werden.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. Februar 2024, 19:30 Uhr