Wie diese Afghanin einen Fluchtversuch nach Bremen wagt
Die 23-jährige Akademikerin will aus Afghanistan fliehen und hat eine Studiumszusage in Bremen. Doch auf ihrer Fluchtroute über den Iran gibt es Probleme.
Auf den ersten Blick im Februar stand Nahidas Reise nach Bremen nichts mehr im Weg (wir berichteten). Die Hochschule Bremen hatte der 23-Jährigen einen Studienplatz für das anstehende Wintersemester gewährt. Vorher hatte Nahidas Cousin Ajabnoor Khan, der seit fast einem Jahrzehnt in Deutschland lebt, ihre Papiere und Zeugnisse beglaubigen lassen und eine fünfstellige Summe als Sicherheit auf einem Sperrkonto hinterlegt.
Khan, der hier Informatik studiert, hatte Spendenaktionen organisiert und im Akkord als Barkeeper gearbeitet, um seine Cousine bei ihrem Vorhaben zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben fernab des frauenfeindlichen Taliban-Regimes zu führen. "Ich werde alles für sie tun, was ich kann, denn in Afghanistan ist sie als Frau ein Nichts", sagte der 25-Jährige im Februar zu buten un binnen.
So gelingt der Fluchtweg in den Iran
Seither ist viel passiert. Ajabnoor Khan muss zunächst von Deutschland aus die von den Taliban kontrollierten afghanischen Behörden dazu bewegen, seiner Cousine ein Visum zu gewähren. "Dass eine unverheiratete Frau reist, geschweige denn das Land verlässt, ist eigentlich nicht möglich im Afghanistan dieser Tage", sagt Khan. Der Bremer muss zahlreiche Verwandte und Bekannte in Afghanistan darum bitten, ihre Beziehungen spielen zu lassen und verhandelt auch selbst ausgiebig mit den dortigen Behörden.
Einige Monate später wird seine Hartnäckigkeit belohnt: Seine Cousine erhält die Genehmigung, in die iranische Hauptstadt Teheran ausreisen zu dürfen – offiziell, um dort einen Verwandten im Krankenhaus zu besuchen. Tatsächlich aber reist Nahida in den Iran, um beim dortigen deutschen Konsulat ein Studentenvisum zu beantragen. Es ist eine der wenigen Möglichkeiten, sich um ein Visum zu bewerben, denn die Deutsche Botschaft in Kabul ist seit der Machtübernahme der Taliban geschlossen.
Rückschlag für die junge Akademikerin
Direkt nach ihrer Ankunft in Teheran macht sich Nahida auf den Weg zur deutschen Vertretung, doch was sie dort erfährt, ist niederschmetternd für sie: Als Afghanin müsse sie erst sechs Monate im Iran gelebt haben, bevor ihr Visumantrag überhaupt bearbeitet werde. Das Auswärtige Amt bestätigt diese Praxis auf Anfrage. Studentenvisa würden zudem in Teheran grundsätzlich nicht bearbeitet. Dafür sei das Konsulat in Pakistan zuständig.
Nun einfach nach Pakistan weiterzureisen, um dort das Visum zu beantragen, ist aber keine Alternative für Nahida. Die Einreise nach Pakistan werde Menschen aus Afghanistan seit geraumer Zeit quasi unmöglich gemacht, attestiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die 23-Jährige kämpft mit den Tränen, als wir sie vergangene Woche per Video-Anruf erreichen.
Wenn ich hier im Iran bleibe, müsste ich all meine Träume aufgeben, aber ich will ein freies Leben führen, ich will nicht aufgeben.
Nahida
Schwarzarbeiten im Iran zum Überleben
Nahida ist in Teheran in einer Massenunterkunft für Frauen untergekommen. Freunde oder Verwandte hat sie nicht im Iran – sie ist völlig auf sich allein gestellt. Die 150 Euro Monatsmiete bringt ihr Cousin in Bremen auf. Nahida selbst arbeitet zehn Stunden täglich schwarz in einer Pizzeria, um sich das zum Überleben Notwendigste zu finanzieren. Auf eine Arbeitserlaubnis kann sie als Afghanin im Iran nicht hoffen, sagt sie. Auch das bestätigen Menschenrechtsgruppen.
In Bremen schiebt ihr Cousin Ajabnoor Khan neben seinem Studium Überstunden am Tresen eines Restaurants an der Schlachte, um seine gestrandete Cousine so gut es geht zu unterstützen. Auch eine Crowdfund-Kampagne soll dabei helfen.
Rückkehr in ihr Heimatland ist ausgeschlossen
Nahida hat vor der Machtergreifung der Taliban bereits ein Studium der Kulturwissenschaften in Afghanistan abgeschlossen. Sie hat jahrelang für westliche Organisationen gearbeitet. Dieses selbstbestimmte Leben will sie zurück. "Ich bin das Wagnis eingegangen, das Land der Taliban zu verlassen – ich kann nicht mehr dorthin zurückkehren", sagt sie uns. Im Moment sieht allerdings vieles danach aus, als würde Nahidas Weg in die Freiheit bereits im Iran enden.
* Nahidas Nachname ist der Redaktion bekannt. Wir nennen ihn zum Schutz ihrer Identität nicht öffentlich.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 31. August 2024, 19:30 Uhr