"Wir waren völlig fertig": Vor 80 Jahren begann der Angriff auf Bremen

Im April 1945 starteten britische Bodentruppen die Befreiung Bremens vom NS-Regime. Für viele Menschen brachte das Schlusskapitel des Zweiten Weltkriegs noch einmal Leid, Angst und Tod.
Am Morgen des 10. April 1945 fordert der Kampf um Bremen seine ersten Opfer. "Um 7.30 Uhr liegt Artilleriefeuer auf Bremen", heißt es in einer NS-Chronik. Die Stadt und ihre Bewohner haben den Angriff erwartet: Der Donner der Kanonen rollte in den Tagen zuvor immer näher an Bremen heran. Lebensmittelvorräte wurden verteilt, Aufmarschgebiete im Vorland überschwemmt, Deckungsgräben ausgehoben.

Trotzdem verlieren an diesem Dienstagmorgen fünf Menschen ihr Leben: Vier sterben auf der Lüderitzbrücke – dem Vorgängerbau der Wilhelm-Kaisen-Brücke –, eine weitere Person wird am Stavendamm im Schnoor getroffen.
Obwohl die Niederlage Nazi-Deutschlands längst absehbar ist, hält sich auch Bremen an den Befehl Adolf Hitlers, "den Heimatboden mit allen Waffen und Mitteln" zu verteidigen. Die Bremerinnen und Bremer rechnen mit dem Schlimmsten. "Die Entscheidung über unser Schicksal zieht sich qualvoll hin von Tag zu Tag und Nacht zu Nacht", schreibt etwa der Kinderarzt Albrecht Mertz in sein Tagebuch.
Bremen liegt im April 1945 in Trümmern
Fünfeinhalb Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen befindet sich der Krieg in den letzten Zügen. Bremen spielte schon früh eine wichtige Rolle in Hitlers Plänen: Seine Werften und Fabriken liefern Panzer, U-Boote und Flugzeuge für die NS-Kriegsmaschinerie – bringen die Stadt aber auch ins Visier alliierter Flieger: 173 Luftangriffe gehen im Krieg auf Bremen nieder, unzählige Spreng-, Phosphor- und Brandbomben hinterlassen Tod und Zerstörung.
Allein der durch Flächenbombardements herbeigeführte Feuersturm in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1944 löscht mehr als 1.000 Menschenleben aus, macht mehr als 8.000 Gebäude dem Erdboden gleich. "Alles war weg, ein ganz unheimliches Erlebnis", erinnert sich später die Zeitzeugin Margaretha Hoffmann.
Man konnte vom Waller Ring aus fast bis zum Bahnhof durchgucken.
Zeitzeugin Margaretha Hoffmann bei buten un binnen
Weiße Fahne bedeutet Tod
Als britische Soldaten und Panzer im letzten Kriegsfrühling auf Bremen vorrücken, ist die Gasversorgung unterbrochen, der Bahnverkehr eingestellt. NSDAP-Mitglieder lassen ihre Parteiabzeichen verschwinden. Trotzdem ruft die bremische Führung zum "Endkampf" auf: "Wer die weiße Fahne zeigt, hat den Tod zu erwarten", schärft Kreisleiter Max Schümann ein.
Doch die meisten Bremerinnen und Bremer machen sich keine Illusionen. "Es scheint mir, als wenn der Verfall bereits eingetreten ist und die Herren den Krieg nur noch weiterführen, um sich ihr Leben zu verlängern", notiert der Angestellte Heinrich Hohnstedt.
Als vernünftiger Mensch muss man sich sagen, dass jeglicher Kampf unnütz ist.
Tagebucheintrag des Bremers Heinrich Hohnstedt
Flugblätter flattern in die Stadt
Wie aussichtslos die Lage ist, weiß auch Richard Duckwitz. Der stellvertretende Regierende Bürgermeister "weist bei einer Besprechung auf die Sinnlosigkeit einer Verteidigung hin", hält die Chronik für den 17. April fest. Doch sein Appell stößt weder jetzt noch zu einem späteren Zeitpunkt auf Gehör.

Derweil rückt die Front vom bereits besetzten Verden aus langsam, aber stetig näher. Die Verteidiger im Umland – Wehrmachtssoldaten und SS-Einheiten, aber auch minderjährige Hitlerjungen und ältere Polizisten – leisten unter anderem in Brinkum heftigen Widerstand. "Fast schon tot keilt der Deutsche eben immer noch aus", resümiert der schottische Soldat George Blake.
Dennoch stehen die britischen Truppen am 20. April – dem im letzten Kriegsjahr wenig beachteten "Führergeburtstag" – schon in Kirchhuchting. Statt Sprenggeschosse schießen sie an diesem Tag mit Flugblättern gefüllte Granaten in die Innenstadt. Die Belagerer stellen der mittlerweile offiziellen "Festung Bremen" ein Ultimatum: entweder "bedingungslose Übergabe" binnen 24 Stunden, ansonsten Einnahme mitsamt "unnötigem Blutverlust".
Der Schlussangriff beginnt

Wenig überraschend lässt Gauleiter Paul Wegener die Frist verstreichen. "Bremens Schicksal wird vom Reich aus entschieden und des Reiches Schicksal vielleicht – wer weiß es im Augenblick zu beantworten – von der Standhaftigkeit Bremens aus", lässt er die Bevölkerung wissen. Kurz darauf setzt sich Wegener, von Hitler zum "Oberreichsverteidigungskommissar" befördert, nach Flensburg zum Oberkommando der Wehrmacht ab.
In Bremen gehen die Briten nun zum Generalangriff über: Bei einem schweren Luftangriff auf den Osten der Stadt wird das Elektrizitätswerk getroffen, die Stromversorgung bricht zusammen. Weitere Bombardements fordern mehr als 70 Tote. "Die einzelnen Abschüsse oder Einschläge folgen sich so dicht, dass sie nicht zu unterscheiden sind", notiert Kinderarzt Mertz in sein Tagebuch.
Es ist ein laut brausendes Dauergeräusch, in dem man mit Mühe noch über uns hin und her fliegende Granaten an ihrem Heulton erkennt sowie einzelne heftige Explosionen und das helle Bellen der MGs.
Tagebuchnotiz des Kinderarzt Albrecht Mertz
In ihrer Not quartieren sich die Menschen – überwiegend Frauen – in den 116 über die Stadt verteilten Hochbunkern ein. Doch die Betonklötze sind restlos überfüllt, der Sauerstoff ist knapp, Hitze und Angst in jeder Ecke spürbar. "Wir waren völlig fertig und hatten das Gefühl, langsam zu ersticken", erinnert sich später die Bremerin Margret Bolz.
Stoppt der Beschuss, strömen die Menschen an die frische Luft. Manche eilen nach Hause, um Tee und Kaffee oder eine Mahlzeit zu kochen. Tauchen jedoch wieder alliierte Flugzeuge am Himmel auf, fliehen sie zurück in den Schutz der dicken Bunkerwände. "Dass man sich immer wieder hineinjagen lässt in dieses Massengrab!", wundert sich rückblickend die damals 17-jährige Anneliese Jäger.
Die Weserbrücken werden gesprengt
Britische Soldaten erreichen inzwischen die Vororte: Mahndorf ist besetzt, in Arbergen dringen ebenfalls Truppen ein. Nachdem die Alliierten auch in Sebaldsbrück und der Neustadt einmarschiert sind, lässt der Bremer Kampfkommandant Fritz Becker sowohl die Lüderitzbrücke als auch die Kaiserbrücke (die spätere Bürgermeister-Smidt-Brücke) sprengen. Die Adolf-Hitler-Brücke (die heutige Stephanibrücke) war bereits bei einem Luftangriff zerstört worden.

Doch auch Panzersperren und Straßenbarrikaden können den britischen Vormarsch nicht stoppen: Die Altstadt wird umstellt, die Häfen werden eingenommen, im Ostertor und Steintor fahren britische Panzer auf. Es kommt zu ersten Plünderungen – sowohl von Bremern als auch von Briten, die auf der Jagd nach Souvenirs sind – vereinzelt rächen sich befreite Zwangsarbeiter an ihren einstigen Peinigern.
Kreisleiter Schümann, der für das Hissen der weißen Fahne mit der Todesstrafe gedroht hatte, verlässt in der Hektik den Regierungsbunker an der Parkallee. Trotz der Ankündigung, zeitnah zurückzukehren, macht sich der NS-Funktionär aus dem Staub und flieht aus der Stadt.
Der Befehlsbunker kapituliert

Im Bürgerpark steigt auch der Schlussakkord beim Kampf um Bremen. Vor allem an der Nordseite liefern sich die Soldaten heftige und tödliche Gefechte, Flammenwerfer vertreiben in den Villen liegende Heckenschützen. Während britische Truppen bereits den Marktplatz erreicht und öffentliche Gebäude besetzt haben, rücken weitere Einheiten auf die Parkallee-Bunker vor.
Erst besetzen sie den Bunker auf Höhe der Benquestraße, in dem Wehrmachtsoffiziere zuvor noch ein letztes Sektgelage gefeiert hatten. In den Morgenstunden des 27. April nehmen sie sich dann den klinkernen Kommando-Bunker vor, in dem Infanterie-General Becker mit seinen verbliebenen Truppen ausharrt. Die Nerven liegen blank, der Ritterkreuzträger ist zu keiner Entscheidung mehr fähig. Dann aber kapituliert die Besatzung des Befehlsbunkers, Becker und seine Untergebenen gehen in Gefangenschaft.
Der letzte Totenschein
Auch für die Bremerinnen und Bremer ist der Zweite Weltkrieg vorbei. Allein die Bodenkämpfe in der Stadt kosteten Schätzungen zufolge noch rund 225 deutschen Soldaten und fast 550 Zivilisten das Leben. Der letzte Totenschein, den Kinderarzt Mertz ausstellt, gilt einer 19-Jährigen. Sie war, schreibt er in sein Tagebuch, "von der betrunkenen Meute unserer letzten 'Verteidiger' erschossen worden".
Sie konnten trotz der hellen Vollmondnacht in ihrem Rausch Freund und Feind nicht mehr unterscheiden und schossen unterschiedslos auf "alles, was sich bewegte", so habe ihr Befehl gelautet.
Tagebuchnotiz des Kinderarztes Albrecht Mertz
Tag der Befreiung: Zeitzeugen aus Bremen erinnern sich
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. April 2025, 19:30 Uhr