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25 Jahre nach den Anfängen: So steht es um Bremens Überseestadt

Luftbild: Im Vordergrund liegt der Stadtteil Neustadt und die Halbinsel Teerhof, im Hintergrund ist der Stadtteil Walle und die Überseestadt zu sehen.
Bremens Überseestadt ist dort entstanden, wo früher Bremens Europahafen war, quasi zwischen der Weser einerseits sowie Walle und Gröpelingen andererseits. Bild: dpa | euroluftbild.de/Martin Elsen

Bremens Überseestadt feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Dabei ist das Quartier im Bremer Westen längst nicht fertig. Was dort noch fehlt und was schon entstanden ist.

Nur sehr selten bekommt eine Stadt eine derartige Chance: die Chance, ein ganzes Quartier auf riesiger Fläche neu zu entwickeln, nicht am Stadtrand, sondern im Zentrum. Genau diese Chance hat Bremen zur Jahrtausendwende bekommen: im Westen der Stadt, dort, wo sich zuvor der Überseehafen befand. 

Seitdem baut Bremen dort die Überseestadt, ein 300 Hektar umfassendes Industrie-, Gewerbe-, und Wohngebiet. Zum Vergleich: Bremens zweites noch im Entstehen begriffenes innenstadtnahes Quartier, das neue Hulsberg-Viertel, umfasst 14 Hektar. buten un binnen erklärt, wie es dazu gekommen ist, dass Bremen die Überseestadt baut, worin ihre Stärken liegen, und wo Kritiker Luft nach oben sehen.

Riesiges Hafenbecken, das großteils mit Sand zugeschüttet ist und in dem Bagger rollen
Ein historischer Moment: Bagger schütten Ende der neunziger Jahre Bremens Überseehafen zu. Bild: Radio Bremen

Wieso kann Bremen auf dem Gebiet eines ehemaligen Hafens ein neues Wohnviertel bauen?

Dazu kam es, weil Bremen seinen Überseehafen Ende der 90er-Jahre zugeschüttet und damit Platz für das neue Quartier gewonnen hat. Der Überseehafen war überflüssig geworden. Der Grund: 1968 hatte im Neustädter Hafen eine der ersten Container-Anlagen Europas den Betrieb aufgenommen. Mit den Containern verkürzten sich die Liegezeiten der Schiffe enorm. Hinzu kam: Die Kapazitäten und der Tiefgang der Schiffe stiegen in der Folge weiter an. Immer weniger Häfen kamen für die immer größeren Pötte infrage. Das Ende der Stückgutfracht auch aufgrund sinkender Umsätze bahnte sich an. 

Bremen schloss seinen Überseehafen im Jahr 1991, auch aufgrund seines schlechten baulichen Zustands. Wie die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) in einer Chronik zeigt, wurde das Becken im Jahr 1998 mit 3,5 Millionen Kubikmetern Sand zugeschüttet. Im Jahr 2000 beschloss der Bremer Senat die "Entwicklungskonzeption zur Umstrukturierung der Alten Hafenreviere in Bremen". Drei Jahre später stand der "Masterplan Überseestadt".

Fabrikhalle mit gläserner Front an einem Hafenbecken inmitten älterer Fabrikgebäude
Typisch Überseestadt: Ein modernes Gebäude – die Reishalle – inmitten geschützter alter Fabrikgebäude, Schuppen und Speicher. Bild: WFB

Wie ist in der Folge die Überseestadt entstanden?

Detlef Kniemeyer war damals der zuständige Stadtplaner. Er erinnert sich daran, dass die ersten Büros und Lofts in Speicher I (Konsul-Smidt-Straße 8b-j) entstanden: einem von mehreren großen Schuppen und Speichern, die Bremen damals vor Ort erhielt. Sie prägen bis heute das Gesicht der Überseestadt. "Justus Grosse war sich erst nicht ganz sicher. Aber die haben dann diesen Speicher gekauft, ein Segment entwickelt, und nachdem ein Segment gut verkauft wurde, kam das nächste, das nächste und das nächste", erzählt Kniemeyer.

2003 bezog die Hochschule für Künste zudem den Speicher XI. Er gilt mit einer Länge von 403 Metern als zweitlängstes Gebäude Bremens – hinter dem 419 Meter langen U-Boot-Bunker Valentin.

Das Tempo, in dem in den folgenden Jahren ein neues Gebäude nach dem anderen zwischen den alten Speichern der Überseestadt entstand, empfindet Kniemeyer noch heute als bemerkenswert. Er betont aber auch, dass es dem Zeitgeist entsprach: "Das war eine Euphorie, die aber auch getragen wurde durch die Entwicklung in anderen Städten Europas." Bald darauf ziehen der Großmarkt, eine Reihe von Dienstleistungsunternehmen und schließlich auch Bewohner in die Überseestadt.

Straßenschild mit Aufschrift "Am Speicher IX", dahinter Kran und Speicher
Der Speicher XI in der Überseestadt ist als Sitz der Hochschule für Künste und des Hafenmuseums eine Institution vor Ort. Bild: WFB | Eva-Christina Krause

Wie hat sich die Überseestadt als Wohnort entwickelt?

Die Überseestadt hat sich von einem Areal, das zunächst überwiegend als Industrie- und Gewerbegebiet ausgelegt war, nach und nach auch zu einem Wohngebiet entwickelt.

Sozialwissenschaftlerin Annette Harth von der Hochschule Bremen, Pastor Benedikt Rogge und der Leiter des Bremer Zentrums für Baukultur, Christian von Wissel, führen diese Entwicklung allerdings weniger auf die Bremer Stadtplanung zurück, sondern darauf, dass die Nachfrage nach Wohnraum gegenüber der Anfangszeit der Überseestadt gestiegen war. Mehr Menschen seien bereit gewesen, Geld in neue Wohnimmobilien zu investieren, schreiben sie in einem gemeinsamen wissenschaftlichen Aufsatz. Waren es im Jahr 2011 noch knapp 300, so lebten demnach Anfang 2024 rund 2.500 Menschen in der Überseestadt. Im Jahr 2030 könnten es Prognosen zufolge etwa 12.000 sein.

Historisches Foto zeigt Tabak und Speicher XI, Pferdefuhrwerke um 1930
Der Speicher XI im Jahr 1930: Pferdefuhrwerke fahren vor. Bild: Staatsarchiv Bremen

Was für Probleme und Konflikte gibt es heute in der Überseestadt?

Viele Bewohnerinnen und Bewohner stellen fest, dass die Infrastruktur der Überseestadt mit dem rasanten Bautempo vor Ort nicht mitgekommen sei. "Die Alltagstauglichkeit der Überseestadt und ihrer Teilquartiere ist mit Blick auf grundlegende Funktionen noch erheblich eingeschränkt", schreiben dazu Harth, Rogge und von Wissel. So mangele es an Einkaufsmöglichkeiten, an Arztpraxen, Apotheken sowie an Kitas und Schulen. Auch die Verkehrsanbindung lasse bislang zu wünschen übrig. Ebenfalls bemängeln Anwohnerinnen und Anwohner, dass es der Überseestadt an Grünflächen fehle.

Der Bremer Sozialwissenschaftler René Böhme kritisiert zudem, dass das soziale Miteinander vor Ort fehle. Der Grund: Direkt am Wasser stehen in der Überseestadt Luxuswohnungen. Deutlich davon getrennt sind in den hinteren Reihen die Sozialwohnungen.

Wenn man gar keine Berührungspunkte mehr hat zu den Erfahrungen, die andere soziale Milieus machen, dann hat man auch wenig Verständnis für deren Problemlagen.

Zu Gast im Studio bei buten un binnen: Der Armutsforscher Rene Böhme.
Sozialwissenschaftler René Böhme


Eine mögliche Lösung für die künftige Gestaltung der Überseestadt beschreiben Harth, Rogge und von Wissel in ihrem Aufsatz. Es sei geboten, einen "partizipatorischen Prozess ins Leben zu rufen", schreiben sie. Das heißt: Bremen möge die Menschen in der Überseestadt künftig stärker in die Gestaltung des Ortsteils einbeziehen.  

Auf Sand gebaut: Als aus dem Bremer Europahafen die Überseestadt wurde

Bild: Radio Bremen

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Autorinnen und Autoren

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. Februrar 2025, 19.30 Uhr