Interview
Leiterin der Suchthilfe: "Entwicklung in Bremen ist besorgniserregend"
Durch mehr Polizeipräsenz werden viele Drogensüchtige vom Hauptbahnhof in die Stadtteile verdrängt. Die Leiterin der Bremer Suchthilfe erzählt, welche Folgen das für Süchtige hat.
Beatrix Meier ist die Leiterin der ambulanten Suchthilfe in Bremen. Dort werden unter anderem suchtkranke Menschen und Angehörige beraten. Medi Bajrami kennt viele dieser Menschen, er ist Streetworker bei der ambulanten Suchthilfe. Seine Hauptarbeitsplätze sind der Bremer Hauptbahnhof und die Neustadt – Brennpunkte in der Bremer Drogenszene. buten un binnen hat mit beiden über die aktuelle Situation gesprochen.
Ist es in Bremen gerade besonders schlimm – oder ist das nur ein Gefühl?
Meier: Wir haben ja die Problematiken, die jetzt gerade so offensichtlich sind auch in anderen Städten. Das heißt, wir haben eigentlich eher lange Glück gehabt, dass wir es nicht so massiv hatten. Viele Probleme kamen jetzt über den Crack-Konsum. Da ist es sehr auffällig geworden in der Stadt. Mit der Droge haben wir seit drei Jahren immer mehr Probleme, gerade ist die Lage verschärft.
Wir haben aber auch eine höhere Wahrnehmung dafür wegen zunehmender Krisen und Unsicherheiten wie dem Krieg in der Ukraine. Das hat einerseits mit Drogengebrauch zu tun, aber eben nicht nur. Der Fokus ist sehr gerichtet, dann auf das, was so offensichtlich ist wie Drogenkonsumenten am Bahnhof und in der Neustadt. Wie wir damit umgehen gerade das finde ich besorgniserregend.
Wie entwickelt sich die Szene aktuell?
Meier: Da es eben am Hauptbahnhof nicht mehr geht, müssen die Menschen sich verteilen. Wir haben extrem viele Menschen mit Suchterkrankung in der Neustadt. Da gibt es dann auch Spannungen. Wir haben einen Toleranz-Ort in der Friedrich-Rauers-Straße geschaffen, weil wir wussten es ist am Hauptbahnhof ungünstig. Es sollte aber trotzdem einen Ort geben, an dem sie bleiben können. Durch die massive Polizeipräsenz werden sie wieder verdrängt von diesem Ort.
Bajrami: Wir haben auch Probleme unsere Klienten zu erreichen. Dadurch, dass sie sich in die Stadtteile verteilen.
Welche Probleme ergeben sich dadurch für Ihre Klientinnen und Klienten?
Meier: Unsere Klienten werden zunehmend stigmatisiert. Eigentlich müssten wir jetzt sehr sorgfältig gucken, wie wir damit umgehen. Die massive Polizeipräsenz ist vor dem Hintergrund verständlich, aber eben nicht hilfreich. Sie ändert auch nichts. Wir ändern nichts am Gesamtgeschehen am Bahnhof, aber das ist auch schwierig. Das erfordert unglaublich viele finanzielle Mittel und die Akzeptanz, dass wir in einer besonderen gesellschaftlichen Situation sind.
Bajrami: Es sind zum Beispiel sehr viele Menschen in der Friedrich-Rauers-Straße, die wir betreuen und begleiten. Die haben sich gefreut, dass sie dort einen Platz für sich haben, bei dem sie in Ruhe gelassen werden. Durch die Polizeipräsenz sind sie ängstlich geworden.
Welche Lösungen braucht es Ihrer Meinung nach?
Meier: Was wir brauchen sind große Übernachtungsmöglichkeiten für Menschen, die Crack konsumieren. Etwas, wo man leicht übernachten kann. Das große Problem bei Crack- und Kokain-Konsum ist eben, dass man nicht immer nachts schläft. Da wird geschlafen, wenn man runterkommt. Wir haben außerdem mehr Obdachlose, durch zu wenig Wohnraum. Für sozial Prekäre ist es nochmal schwerer eine Wohnung zu finden. Es scheitert an vielen Stellen auch einfach am Geld. Wir wissen, dass der Haushalt knapp ist. Deshalb ist es so wichtig, dass die Möglichkeiten, die wir haben auch laufen.
Im Jobcenter klafft ein großes Finanzloch, viele Projekte werden deshalb nicht verlängert.
Welche Auswirkungen hat das auf Projekte und Maßnahmen in Ihrem Bereich?
Meier: Viele Maßnahmen im Bereich Suchterkrankte und psychisch kranke Menschen werden gestrichen. Auch wirklich gut laufende, langjährige Projekte wie „Andocken“. Das wird geschlossen. Es gibt kaum Angebote für unter 25-Jährige. Das ist dramatisch.
Bajrami: Wir sind zum Glück untereinander gut verknüpft um unseren Klienten zu helfen. Aber das müssen wir in so einer Situation auch sein.
Meier: Wenn wir insgesamt gucken, haben wir eine sehr prekäre Lage. Das ist einfach so. Umso wichtiger ist es, mit den Ressourcen, die wir haben gut zu handeln. Wir brauchen mehr miteinander und weniger gegeneinander.
Gibt es in dieser Lage auch Lichtblicke?
Meier: Es verändern sich auch Dinge. Wir arbeiten ja im direkten Kontakt mit den Klienten und da sind Erfolge auch messbar. Aber Streetwork kann nicht alle Probleme lösen.
Bajrami: Einer meiner Klienten hat sich in zwei Jahren sehr verändert. Er war zu Anfang sehr aggressiv, das ist viel besser geworden. Und er konsumiert auch nicht mehr. Und so gibt es viele kleine Erfolge. Deshalb sollten wir viel mehr den Menschen sehen, der dahintersteckt.
Meier: Oft sehen wir nur die Fassade, aber es geht ja immer um Menschen. In der Bevölkerung ist das wenig sichtbar, den Kontakt haben wir dann aber. Wenn das Suchtmittel so im Vordergrund steht, dann ist das auch schwer zu erkennen. Je mehr Druck wir in der Gesellschaft haben auf Menschen mit einer Suchterkrankung, desto weniger sehen wir den Menschen. Viele Bürger regen sich auf, aber Menschen mit einer Suchterkrankung sind eben auch Bürger.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 2. Oktober 2024, 8:10 Uhr