Recht auf Rückzug nach Schicksalsschlag? Das sagen Bremer Expertinnen

Eine ältere und eine jüngere Frau im Gespräch in einem Büro
Der Umgang mit Schicksalsschlägen und psychologischen Stresssituationen ist für Angestellte und Vorgesetzte nicht leicht. Bild: dpa | Christin Klose

Ob Fehlgeburt oder Menopause, der Kellogg-Konzern gibt Betroffenen jetzt ein "Recht auf Rückzug". Bremer Expertinnen loben den Vorstoß des Unternehmens – warnen aber auch.

Der Kellogg-Konzern, der Jahrzehnte lang auch einen großen Standort in Bremen unterhielt, räumt seinen Angestellten seit Kurzem ein, sich nicht nur bei üblichen Krankheitssymptomen wie Husten, Schnupfen, Halsweh krankzumelden. Das Unternehmen will Mitarbeitenden über das gesetzlich verpflichtende Maß hinaus auch ein "Recht auf Rückzug" einräumen, wenn sie eine physisch oder psychisch belastende Situation in ihrem Leben durchmachen.

"Über Themen wie Schwangerschaftsverlust, unerfüllter Kinderwunsch, Menopause oder Gender Transition zu sprechen, ist schwierig – vor allem am Arbeitsplatz", teilte der Konzern jüngst mit. Diese Tabuisierung solle nun durchbrochen werden, indem Kellogg seine Unternehmenspolitik anpasse.

Bezahlter Urlaub nach Schicksalsschlag

So haben beispielsweise Paare, die vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat ein Kind verlieren, bislang keinen rechtlichen Anspruch auf Erholungstage.

Bei Kellogg sollen sie nun, obwohl gesetzlich nicht vorgesehen, zwei Wochen zusätzlichen bezahlten Genesungsurlaub erhalten.

Auch bei Wechseljahresbeschwerden gebe es keine klaren Regelungen in der deutschen Arbeitspolitik. Und eine Hormontherapie bei unerfülltem Kinderwunsch sei ebenfalls ein körperlicher oder seelischer Ausnahmezustand, für die das Unternehmen künftig ein Recht auf Rückzug einräumen wolle, ohne dass dafür ein ärztlicher Nachweis erforderlich sei.

Auch Unternehmen können profitieren

"Aus Beschäftigtenperspektive wäre so etwas sicher zu begrüßen, wenn man wegen eines Schicksalsschlags gerade nicht in der Lage ist, die Arbeitsanforderungen gut zu bewältigen", sagt Katharina Klug, Organisationspsychologin an der Uni Bremen. Bei manchen Arbeitnehmenden könne die Arbeit allerdings auch einen stabilisierenden Effekt haben.

Zum Beispiel durch Routinen, sinnstiftende Tätigkeiten und so weiter.

Katharina Klug, Organisationspsychologin an der Uni Bremen

In solchen Fällen wäre daher eine vorübergehende Reduzierung der Aufgaben sinnvoller. Dass es sich um ein freiwilliges, selbstbestimmtes Angebot handele, sei daher wichtig, sagt die Psychologin.

Und auch aus Sicht des Betriebes könne sich der Vorstoß auszahlen.

Auf der Ebene der sozialen Austauschbeziehung signalisiert so eine Maßnahme Wertschätzung und Unterstützungsbereitschaft für die eigenen Mitarbeitenden.

Katharina Klug, Organisationspsychologin an der Uni Bremen

Es sei anzunehmen, dass Mitarbeitende ein solches Entgegenkommen durch höhere Einsatzbereitschaft zurückgäben, sagt Klug. Die Studienlage zu diesem Thema sei zwar dünn. "Die Erholungsforschung legt aber nahe, dass Pausen und auch längere Auszeiten von der Arbeit eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben und Belastungen abbauen können."

Kellogg reagierte auf Mitarbeiter-Initiative

Logo des Kellogg
Der Kellogg-Konzern hat mit seinem Vorstoß einen Wunsch der eigenen Mitarbeitenden aufgegriffen. Bild: dpa | Ingo Wagner

Tatsächlich hat auch Kellogg die Entscheidung nicht auf Grundlage von Studien oder Analysen getroffen, teilt der Konzern auf Anfrage von buten un binnen mit. Die Initiative zur Einführung des "Rechts auf Rückzug" sei von den Mitarbeitenden selbst an die Unternehmensleitung herangetragen worden, sagt Kellogg-Sprecher Wieland Beck.

Das Unternehmen strebe danach, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der sich Mitarbeitende – wenn sie das wünschten – offen über Tabuthemen wie die Menopause und einhergehende Beschwerden äußern könnten. Zusätzlich würden die Führungskräfte bei Kellogg geschult, wie sie mit Betroffenen über derlei komplexe Lebensumstände sprechen könnten. "Derartige Lebensumstände sollten nicht über die Karriere einer Person entscheiden", so der Kellogg-Sprecher.

Gefahr der Vermischung von Beruf und Privatleben

Vor Letzterem warnt zum Beispiel die Bremer Arbeitnehmerkammer. So würden in der Beratung regelmäßig Fälle geschildert, in denen Mitarbeitende darüber klagten, dass private Informationen, die sie ihrem Arbeitgeber mitgeteilt hatten, zu Benachteiligungen am Arbeitsplatz führten, sagt Arbeitsrechtsexpertin Kaarina Hauer. Zum Beispiel: Eine Frau hatte ihrem Arbeitgeber eine Schwangerschaft mitgeteilt, verlor dann aber ihr Kind. Danach sei sie nicht mehr für langfristige Projekte eingesetzt worden.

"Wenn man so etwas wie Kellogg macht, dann ist das durchaus lobenswert", sagt Hauer. Dennoch zeige die Beratung, dass es auch eine Kehrseite geben könne.

Solche Vorstöße können auch zu einer Entgrenzung von privatem und beruflichem führen.

Kaarina Hauer, Arbeitsrechtsexpertin der Arbeitnehmerkammer Bremen

"Das haben wir auch mit dem Homeoffice gesehen", sagt Hauer. Als die Menschen in der Corona-Zeit von zu Hause gearbeitet haben, kam es häufiger zu Beratungsgesprächen zum Thema Arbeitsverdichtung. "Man arbeitet dann irgendwann vom Sofa aus." Das Arbeitszeitgesetz sei daher vor allem auch ein Arbeitsschutzgesetz, sagt die Rechtsberaterin.

Abgesehen davon könne zwar rein juristisch mit dem Verlust eines Kindes in der Schwangerschaft, einer Kinderwunschbehandlung oder der Menopause keine krankheitsbedingte Auszeit mit Lohnfortzahlung begründet werden. "Parallel ist es aber so, dass Frauen, die davon betroffen sind und dadurch psychisch belastet sind, von Ärztinnen und Ärzten schon heute faktisch krankgeschrieben werden."

Diese Frauen kämpfen für ein Recht auf Mutterschutz nach Fehlgeburten

Bild: dpa | David Ebener

Autor