Infografik
Mit Baggern gegen Armut: Schafft Bremen-Blumenthal den Aufschwung?
Blumenthal zählt zu den ärmsten Regionen Bremens. Doch das könnte sich bald ändern. Ein Schulcampus, ein neues Wohnviertel und Sanierungsmittel lassen den Stadtteil hoffen.
Fast ein Fünftel der Einwohner hat keine Arbeit, fast jedes zweite Kind ist auf Sozialleistungen angewiesen. Blumenthal, der nördlichste Stadtteil der Stadt Bremen, ist zugleich einer der ärmsten.
Doch jetzt, rund 25 Jahre nach der Pleite der "Vulkan"-Werft und 15 Jahre nach dem Ende der Wollkämmerei könnte es mit dem einstigen Industriestandort wieder bergauf gehen. Denn anders als andere benachteiligte Stadtteile im Land Bremen verfügt Blumenthal über entwicklungsfähige Flächen. Und diesen Trumpf spielt der Stadtteil nun aus.
"Wir haben viel auf dem Papier stehen und kommen jetzt zur sichtbaren Umsetzung", sagt Oliver Fröhlich. Er ist seit zwei Jahren der Ortsamtsleiter Blumenthals. Fröhlich deutet aus dem Fenster seines Büros in der Landrat-Christians-Straße. Der Blick fällt auf mächtige Baugeräte, die sich, wenige Meter entfernt, an den Resten einer Lagerhalle zu schaffen machen. Dahinter steht – eingekleidet in große Gerüste – die einstige Bremer Wollkämmerei. "Hier entsteht unser Berufsschulcampus. Eine Riesenchance für uns", sagt er.
Bis zu 3.000 Berufsschüler erwartet
Der Ortsamtsleiter rechnet mit 2.000 bis 3.000 Berufsschulschülerinnen und -schülern, die demnächst aus umliegenden Stadtteilen und aus Niedersachsen nach Blumenthal kommen werden, um hier überwiegend handwerksnahe Berufe zu erlernen. Zunächst, ab 2026, in der Pflegebranche, bis spätestens 2032 auch in der Metall- und Elektrotechnik. Auch eine neue Oberschule soll auf dem Campus entstehen. "Aus dem Campus mit all den jungen Leuten ergeben sich auch Chancen für die Gastronomie und für den Einzelhandel", ist sich Fröhlich sicher.
Mit dieser Einschätzung steht der Ortsamtsleiter keinesfalls allein da. Hans-Gerd Thormeier (CDU), Beiratssprecher in Blumenthal, glaubt ebenfalls, dass der Campus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor vor Ort werden kann. "Auch das Zentrum wird von dem Campus profitieren", ist Thormeier überzeugt. Im Moment prägen dort Leerstände das Bild. Gleichwohl stellt auch Thormeiers Beirats-Kollegin Bianca Frömming von den Grünen klar: "Die Chancen, dass viel Gutes in Blumenthal passieren kann, sind jetzt da."
21 Millionen Euro zur Sanierung des Ortskerns
Der Bau des Berufsschulcampus im Kämmerei-Quartier Blumenthals geht einher mit einer Reihe weiterer Maßnahmen, von denen sich der Stadtteil viel verspricht. So ist das marode Zentrum Blumenthals seit vorigem Sommer offiziell Bremens einziges "umfangreiches Sanierungsgebiet". Das heißt: 21 Millionen Euro, überwiegend aus Bundesmitteln, investiert Bremen in den kommenden rund 15 Jahren in das Gebiet, um den Hauseigentümern bei der energetischen Sanierung der Immobilien zu helfen, um den Marktplatz und das Rathaus wieder zu beleben und um den Ortskern mit all seinen leer stehenden Geschäften neu zu gestalten.
"Das wird das Zentrum zum Leben erwecken, wenn man es richtig macht", sagt Ortsamsleiter Fröhlich. "Richtig": Das wäre aus seiner Sicht ein neuer Mix aus Wohnungen und Geschäften im Ortskern Blumenthals. Genau solch einen Mix sieht das Sanierungskonzept Bremens vor.
Neues Quartier für eine neue soziale Struktur
Doch nicht nur das Zentrum des Stadtteils bekommt ein neues Gesicht. Große Hoffnungen setzen das Ortsamt und der Beirat Blumenthals auch in das neue "Dillener Quartier": ein 7,5 Hektar großes Baugebiet, das gerade an der Cranzer Straße entsteht.
Hier sollen – neben einer Schule und einer Kita – überwiegend Einfamilien- und Doppelhäuser errichtet werden sollen: hochwertiger Wohnraum. Auf diese Weise werde das Quartier im Ortsteil Rönnebeck auch für ein etwas wohlhabenderes Publikum interessant, als es derzeit vielerorts in Blumenthal vorherrsche, glaubt Oliver Fröhlich – und sieht darin eine große Chance. Denn eine gute soziale Durchmischung sei wichtig, um der derzeit noch verbreiteten Armut in Blumenthal langfristig entgegen zu wirken.
Mit dieser Einschätzung liegt Fröhlich auf einer Linie mit Armutsforscher René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen. "Wenn es auf diese Weise gelingt, ein einkommensstarkes und bildungsnahes Klientel für den Stadtteil zu gewinnen, so kann davon die gesamte soziale Struktur profitieren", kommentiert der Wissenschaftler die Pläne für das Dillener Quartier.
Die Chancen dafür, dass das neue Quartier den gesamten Stadtteil nach vorn bringt, ständen umso besser, als sein Bau mit dem des Berufsschulcampus und mit der Sanierung des Zentrums einher gehe. "Dadurch entstehen Anreize zu mehr Beschäftigung", sagt der Wissenschaftler. Auch könne er sich vorstellen, dass die großen, alten Häuser in Blumenthals Zentrum bald für die gesellschaftliche Mitte interessant werden, wenn sich in dem Stadtteil insgesamt neue Perspektiven auftun.
Aus Böhmes Sicht wird es für Blumenthal in den kommenden Jahren außerdem darauf ankommen, möglichst im Gleichschritt mit den großen Bauvorhaben die Kita- und Schullandschaft des Stadtteils weiter zu entwickeln – und zwar dergestalt, dass möglichst alle Kitas und Schulen für Kinder aller sozialen Schichten des Stadtteils infrage kommen.
Wir müssen die soziale Trennung in den Schulen und Kitas aufbrechen. Alles andere gerät zum Nachteil der ohnehin benachteiligten Kinder.
Sozialwissenschaftler René Böhme
Aus demselben Grund sei er persönlich eher ein Freund davon, bestehende Schul- und Kita-Standorte, wenn möglich, zu vergrößern und aufzuwerten als neue in besser situierten Wohnvierteln zu schaffen.
Blumenthal als Modell für andere Stadtteile im Land Bremen?
Doch so hoffnungsvoll die Entwicklungen in Blumenthal auch sein mögen. Einen Dämpfer gibt es doch. So glaubt Armutsforscher Böhme nicht, dass sich aus den möglichen Blumenthaler Erfolgsmeldungen der kommenden Jahre allzu viele Schlüsse für die Entwicklung anderer ärmerer Stadtteile im Land Bremen werden ziehen lassen: "Andere benachteiligte Quartiere haben nicht so große Flächen", erklärt der Wissenschaftler. Schon gar nicht solche Flächen, die sich komplett neu entwickeln ließen.
Im Gegenteil: In anderen benachteiligten Quartieren Bremens, etwa in der Grohner Düne, in Huchting oder in Kattenturm, bestimme die enge Blockbebauung das Bild. Vakante Flächen gebe es hier nicht, und ein Abriss der Häuser, wie vor ein paar Jahren in Teilen Osterholz-Tenevers geschehen, komme schon aufgrund des derzeitigen Wohnungsmangels nicht infrage.
Um diesen Stadtteilen zu helfen, müsse die Politik vor allem schnell für eine bessere personelle Ausstattung der Schulen und Kitas sowie für mehr Kita-Plätze sorgen, fordert Böhme: "Wenn wir gerade in den benachteiligten Quartieren die meisten unversorgten Kinder haben, bedeutet das für die Armutsprävention ein riesiges Problem", stellt der Wissenschaftler fest.
Inwiefern es gelinge, hier eine Kehrtwende herbei zu führen – daran unter anderem müsse sich Bremens Politik der kommenden Jahre messen lassen. Gleich, wie sich die nächste Bremer Landesregierung zusammensetzen wird.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 28. März 2023, 19:30 Uhr