Verstümmelt und prostituiert: Der Weg einer jungen Bremerin

Als Kind verstümmelt: Wie diese Frau in Bremen Hilfe fand

Bild: Radio Bremen

Fatima ist aus Westafrika nach Bremen gekommen und hat einen langen Leidensweg hinter sich. Nun will sie ihren Beitrag dazu leisten, dass er anderen Frauen erspart bleibt.

Fatima* ist erst 21 Jahre alt, aber in ihrem Leben schon durch die Hölle gegangen. Doch das hat sie nicht davon abgehalten ihre Träume zu verwirklichen.

Was ich durchgemacht habe, war nicht das Ende meines Lebens. Ich bin aufgestanden und habe gesagt: Hey, ich glaube, ich kann etwas für mich tun, und das habe ich dann auch getan.

Fatima* aus Bremen über ihre schwere Vergangenheit

Diese Worte sagt Fatima nach rund eineinhalb Stunden Interview, in denen sie buten un binnen von ihrem Leben erzählt. Bis zu ihrer Ankunft in Bremen war ihr Leben voller Gewalt: Sie hat eine Genitalverstümmelung, eine Zwangsheirat und Zwangsprostitution erlebt.

Traumatische Kindheit

Sie wird in einem Land in Westafrika geboren, ihre Mutter stirbt bei ihrer Geburt und auch mit ihrem Vater kann sie nicht viel Zeit verbringen, denn auch er stirbt an einer Krankheit. Fatima wächst zusammen mit ihren Geschwistern bei ihrer Stiefmutter auf. Mit fünf Jahren wird sie genitalverstümmelt. Sie erinnert sich noch genau an die Worte ihrer Stiefmutter: "Meine Stiefmutter hat einmal gesagt, dass das in Afrika Kultur ist, jeder macht das, also wurde es mit mir gemacht."

Genitalverstümmelungen haben in einigen Ländern in Afrika und Asien eine lange Tradition. Für die meist noch sehr kleinen Mädchen sind sie traumatisch und sehr schmerzhaft.

Ich kann mich noch an das Kleid erinnern, das ich an diesem Tag trug. Bevor ich wusste, was passierte, hielt mich jemand von hinten fest und sie legten mich einfach hin, öffneten meine Beine und schnitten es ab. Keine Spritze, nichts.

Fatima* über den Tag ihrer Verstümmelung

Von der Flucht zum Menschenhandel

Viele Jahre später, mit 15 Jahren, flieht Fatima aus ihrer Heimat. Nicht ihre Genitalverstümmelung ist der Grund dafür, sondern dass ihre Stiefmutter sie an einen älteren Mann zwangsverheiraten möchte. Um diesem Leben zu entkommen, sieht sie nur die Flucht. Im Senegal trifft sie auf eine fremde Frau, die ihr Hilfe anbietet, erzählt sie: "Wir gingen zu ihr nach Hause und sie sagte: Du kannst eine Weile hier bleiben. Du kannst duschen und sie gab mir Kleidung. Ich war für ein paar Wochen dort."

Doch danach geht der Albtraum erst richtig los. Die vermeintliche Hilfe der Frau entpuppt sich als Menschenhandel. Sie übergibt Fatima – unter dem Vorwand Arbeit für sie gefunden zu haben – an eine Gruppe fremder Männer.

Ich erinnere mich, dass wir einen Flug genommen haben. Aber mit welchem, das weiß ich nicht mehr. Es war das erste Mal, dass ich am Flughafen war und reiste. Ich war nicht das einzige Mädchen. Wir waren, glaube ich, fünf, sechs.

Fatima* geriet im Senegal in den Menschenhandel

Der Horror der Zwangsprostitution

Das Flugzeug landet irgendwo in Europa, wo weiß Fatima bis heute nicht. Nach einer Autofahrt steht sie vor einem großen Haus, erzählt sie, unten ist es eine Art Klub, oben sind mehrere Zimmer. Eins davon bekommt Fatima. In ihm steht ein Bett, eine Toilette und ein Waschbecken.

Und dann kam ein Mann herein und wollte Sex mit mir haben. Ich habe geweint und abgelehnt. Und dann kam der Boss und sagte: Deshalb bist du hier, das ist dein Job. Ob du willst oder nicht, du musst es machen.

Fatima*

Vier Männer versuchen Sex mit der jungen Frau zu haben. Weil ihre Genitalien aber verstümmelt sind, ist das sehr schmerzhaft und es ist fast unmöglich in sie einzudringen. Das ist schließlich der Grund, warum die Zuhälter Fatima gehen lassen. Später in Bremen wird sie Anzeige erstatten, doch wo das Haus steht und wer sie zur Prostitution gezwungen hat, kann die Polizei nicht ermitteln.

Fatima kommt in Bremen an

Hinterkopf einer afrikanischen Frau.
In Bremen ist der lange Leidensweg der jungen Frau beendet. Sie bekommt hier Hilfe. Bild: Radio Bremen

Fatima kommt mitten in der Nacht mit dem Bus in Bremen an und ist hier erstmal verloren. Wieder trifft sie auf eine fremde Frau, wieder ist sie auf ihre Hilfe angewiesen, doch dieses Mal geht alles gut. Sie bekommt Hilfe, zunächst bei der Inneren Mission und schließlich im Mädchenhaus in Oslebshausen. Dort wird sie medizinisch behandelt, findet eine Therapeutin und kann zur Schule gehen.

Für betroffene Frauen und Mädchen gibt es in Bremen spezielle Anlaufstellen zum Thema Genitalverstümmelung. Die Organisation für Frauenrechte "Terre des Femmes" schätzt die Zahl der Frauen, die in Deutschland genitalverstümmelt sind auf rund 100.000, circa 1.600 im Land Bremen. Die Dunkelziffer sei aber höher, die Zahlen sind nur Schätzungen, die sich zum Beispiel aus den Zuwanderungszahlen aus den jeweiligen Ländern, in denen Genitalverstümmelung durchgeführt wird, ergeben.

Aufarbeitung und Neuanfang

Mittlerweile lebt Fatima seit fünf Jahren in Bremen und macht eine Ausbildung zur Sachbearbeiterin. Sie wohnt in einer eigenen Wohnung und hat einen festen Freund.

Ich habe bekommen, was ich wollte. Ich bin nicht mehr gestresst, ich bin nicht mehr so traumatisiert wie früher. Am Anfang war es so schwer mit der Sprache, mit den Leuten, mit der Kultur und so weiter.

Fatima* über ihr Leben in Bremen

Auch mit ihrer Familie in Afrika hat Fatima wieder Kontakt – vor zwei Jahren war sie sogar in der Heimat zu Besuch. Was ihr seit ihrer Flucht passiert ist, hat sie ihrer Familie aber nicht erzählt. Sie will sie nicht verunsichern und auch sich selbst vor Nachfragen schützen.

Mit Menschen zu sprechen hat ihr trotzdem geholfen, sagt sie: "Es gibt viele Menschen, die das Gleiche durchmachen, aber sich schämen mit anderen zu reden. Ich denke, wenn man eine solche Situation durchmacht, oder was auch immer es ist, muss man sich jemandem anvertrauen und mit dieser Person reden, damit man Hilfe und seinen Kopf frei bekommt."

* Die Redaktion hat den Namen von Fatima auf ihren Wunsch hin geändert, ihr tatsächlicher Name ist buten un binnen bekannt.

Terre de Femmes: Opfer von Menschenhandel stehen unter extremen Druck

Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Finja Böhling
    Finja Böhling Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. Oktober 2024, 19:30 Uhr