Interview

"Grüner" Stahl aus Bremen? Expertin erklärt, warum das noch dauert

Bild: Radio Bremen

Kann die Stahlproduktion weniger umweltschädlich werden? Und wie? Eine Bremer Wissenschaftlerin gibt Antworten.

Die Stahlindustrie ist für gut 30 Prozent der industriellen Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich, das sind rund sechs Prozent der Gesamtemissionen des Landes. Um die Stahlproduktion umweltfreundlicher zu gestalten, setzt die Politik auf Wasserstoff. Das Ziel ist, die Stahlerzeugung langfristig klimaneutral zu machen. Doch kann das gelingen? Eine Bremer Wissenschaftlerin über die Herausforderungen.

Frau Günther, grüner Stahl wird in der Politik als Produkt der Zukunft skizziert. Ist er denn technisch überhaupt schon möglich?

Technisch gesehen ist es durchaus möglich. Aber es gibt noch viele Herausforderungen, die in Zukunft gemeistert werden müssen. Um grünen Stahl zu erzeugen, müssen wir Gas und Kohle in der Stahlproduktion durch Wasserstoff ersetzen. Und Wasserstoff muss als grüner Wasserstoff hergestellt werden – dafür brauchen wir sehr, sehr viel Strom. Und dieser Strom muss aus erneuerbaren Energien kommen, damit der Wasserstoff "grün" ist. Wir brauchen also jede Menge Windkraft. Um beispielsweise das Stahlwerk in Bremen mir grünem Strom für Wasserstoff zu versorgen, brauchen wir mehrere Hundert Windräder. Das ist die größte technische Herausforderung.

Und wann könnte eine solche Infrastruktur Realität werden?

Eine große Umstellung auf grünen Wasserstoff und grünen Stahl geht auf keinen Fall von heute auf morgen. Es ist auch nicht in wenigen Jahren zu schaffen. Das Ziel von Arcelor Mittal ist, bis 2050 alle Stahlwerke in Europa klimaneutral zu haben. Also grünen Stahl in allen Stahlwerken zu erzeugen. Mit etwas Ambition ist das vielleicht auch früher möglich, aber es wird eher 20, 30 Jahre dauern, bis man so weit ist.

Aber rein technisch ist das machbar? Oder gibt es auch andere Hindernisse, Forschungsbedarf, bevor man ein solches Projekt in den Griff bekommt?

Wir wissen, wie Elektrolyse funktioniert. Das ist der Prozess, um Wasserstoff herzustellen. Und wir wissen auch, wie man grünen Wasserstoff herstellt. Der Engpass-Faktor ist der Strom aus erneuerbaren Quellen. Da braucht es noch sehr viel Forschung: um Wind- und Sonnenenergie einzusetzen, um effizient grünen Strom zu erzeugen. Einige Experten gehen sogar davon aus, dass es in Deutschland unmöglich sein wird, so viel grünen Wasserstoff zu erzeugen, um den Bedarf zu decken. Es wäre aber auch denkbar, dass grüner Strom oder grüner Wasserstoff aus Regionen, in denen es sehr viel Wind und Sonne gibt, direkt nach Deutschland importiert wird.

Wird die Industrie alleine diesen Prozess stemmen können?

Die Industrie wird Milliarden investieren müssen, um diese Umstellung zu vollziehen. Das kann die Industrie alleine auf keinen Fall schaffen. Es braucht auch die Politik. Sie ist an dieser Thematik sehr nah dran und es laufen eine ganze Reihe von Förderprogrammen für Investitionen und Forschung. Weil wir viele Prozesse und Materialien noch effizienter gestalten könnten, und auch die Infrastruktur muss erforscht werden. Das alles erfordert sehr hohe Investitionen, die nicht alleine von der Industrie kommen können.

Denken Sie, dass die Politik, der Bund, die Länder genug tun, um das voranzubringen, oder muss noch eine Schippe daraufgelegt werden?

Jetzt stehen wir am Anfang der Bemühungen. Es ist eine gigantische Veränderung, ein kompletter technologischer Wechsel. Alle Akteure – Politik, Industrie, Wissenschaft, aber auch Gesellschaft – müssen an einem Strang ziehen. Das ist auch ein Prozess, das schafft man nicht von heute auf morgen. Aber das wird die Zukunft sein.

Was wird die Umstellung bei den Arbeitsplätzen in den Werken bewirken? Bereiche, die heute noch selbstverständlich zur Stahlproduktion dazugehören, könnten morgen nicht mehr gebraucht werden. Bei der Belegschaft in Bremen herrscht etwas Unruhe.

Große technologische Veränderungen haben immer einen Einfluss auf die Belegschaften. Sie erzeugen auch immer Unruhe. Hier ist der Dialog zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten enorm wichtig. Es werden andere Qualifikationsanforderungen auf die Arbeiter und Arbeiterinnen zukommen, es werden andere Fachkräfte gebraucht. Man müsste jetzt schon hergehen und Ausbildungspläne anpassen, Pläne dafür machen, welche Qualifikationen zukünftig gefordert sind, welche Studiengänge wir brauchen, um darauf vorbereitet zu sein.

Wird grüner Stahl am Ende teurer sein als der konventionelle? Eine Art Bio-Stahl?

Grüner Stahl wird auf jeden Fall teurer werden. Es sind große Investitionen erforderlich, um den Stahl klimaneutral zu erzeugen und diese Investitionen schlagen sich dann auch in den Preisen nieder. Der Stahl wird Schätzungen zufolge 50 bis 80 Prozent teurer werden, und das ist auch ein großes Hindernis. Das bedeutet auch, dass der Wettbewerb am Weltmarkt noch stärker werden wird. Da liegt ebenfalls eine große Aufgabe für die Politik. Und zwar, dass die Regularien in der Handelspolitik so gestaltet werden, dass der grüne Stahl am Weltmarkt wettbewerbsfähig ist.

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. August 2021, 19:30 Uhr

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