Interview
Ethiker erklärt: Darum muss der Bundestag die Suizidhilfe neu regeln
Wann darf ich anderen helfen, sich zu töten? Auf diese Frage sucht der Bund nach einer Antwort. In Bremen hat sich jetzt dazu ein Mitglied des Ethikrats positioniert.
Der Bund muss die Suizidhilfe neu regeln. Denn das Bundesverfassungsgerichts hat 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt. Seitdem befindet sich der assistierte Suizid in einer rechtlichen Grauzone. Der Deutsche Bundestag wird daher demnächst über drei verschiedene Gesetzesentwürfe abstimmen, die wieder Klarheit schaffen sollen. Vor diesem Hintergrund hatte der Katholische Gemeindeverband am Donnerstag zu einer Podiumsdiskussion in Bremen geladen. Das Thema: "Darf es Hilfe zur Selbsttötung geben?".
Auf dem Podium in der St.-Johannis-Schule saß auch der katholische Theologe und Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl, Mitglied des Deutschen Ethikrats. buten un binnen hat mit ihm über die Gesetzesentwürfe im Bundestag und über die Rolle der Kirche beim assistierten Suzid gesprochen.
Herr Lob-Hüdepohl, der Gesetzgeber muss die Suizidhilfe in Deutschland neu regeln. Zur Zeit stehen dazu drei Gesetzesentwürfe im Bundestag zur Diskussion. Welchen dieser Entwürfe favorisieren Sie aus welchen Gründen?
Zunächst einmal: Ganz wichtig finde ich, dass – unabhängig davon, welcher Entwurf sich durchsetzt – die Suizidprävention neu geordnet wird. Mit dem Ziel, in allen Phasen des Lebens, auch in der Fläche viel mehr präventive Maßnahmen anzubieten. Der Deutsche Ethikrat hat diesen Aspekt besonders hervorgehoben.
Von den drei Gesetzesentwürfen im Bundestag favorisiere ich ganz klar den Entwurf der Gruppe um Lars Castellucci (SPD, die Redaktion) und Kristen Kappert-Gonther (Grüne, die Redaktion). Denn anders als die beiden anderen Entwürfe geht dieser Entwurf grundsätzlich davon aus, dass Suizidassistenz strafbar ist – aber mit ganz klar definierten Ausnahmen, die genau dem, was das Bundesverfassungsgericht fordert, Rechnung tragen: Ein Mensch, der einen ernsthaften und frei formulierten Suizidwunsch ausgebildet hat, darf auch eine Assistenz beim Suizid in Anspruch nehmen.
Das dürfte die betroffene Person nach den beiden anderen Gesetzesentwürfen auch. Worin beseht aus Ihrer Sicht der entscheidende Unterschied?
Zwar möchten auch Renate Künast und Katrin Helling-Plahr, dass nur eine ernsthafte und eine frei formulierte Entscheidung zu einem assistierten Suizid führen kann. Sie wollen das aber außerhalb des Strafrechts regeln. Und das finde ich nicht richtig. Zum Hintergrund: Wir wissen, dass bis zu 95 Prozent der Suizidwilligen keine ernsthafte und frei formulierte Entscheidung zum Suizid ausgebildet haben.
Das heißt: 95 Prozent der suizidwilligen Menschen in Deutschland müssen eigentlich vor sich selbst geschützt werden, weil ihre Selbstbestimmung nicht ernsthaft und frei verantwortlich ist. Das ist auch der Grund dafür, dass das Bundesverfassungsgericht schon vor drei Jahren gesagt hat: Wir müssen diese 95 Prozent, die zum Beispiel aus kurzfristigen Überlegungen oder aufgrund einer heilbaren Erkrankung den Suizid wünschen, vor einem verhängnisvollen Fehler bewahren. Die übrigen fünf Prozent sollen selbstverständlich zu ihrem Recht auf einen assistierten Suizid kommen.
Was unterscheidet die drei Entwürfe außerdem?
Sie unterscheiden sich in der Frage, welche Pflichten zunächst erfüllen muss, wer sein Recht auf einen assistierten Suizid geltend macht: die Pflicht zur Beratung oder dass man sich gutachterlich beurteilen lässt, ob man in einer bestimmten Lebenslage einen freiverantwortlichen Willen bilden kann. Etwa dahingehend, ob man krankheitsbedingt unter einer Urteilseintrübung leidet oder nicht. In diesen Fragen sind die drei Gesetzesentwürfe unterschiedlich streng und strikt, am strengsten der von Castellucci, am wenigsten streng der von Helling-Plahr.
Ein Aspekt dabei erscheint mir noch ganz wichtig: Klar ist, dass alle drei Gesetzesentwürfe darauf abzielen, dass dem assistierten Suizid eine ernsthafte und frei formulierte Entscheidung vorausgehen muss. Daher hoffe ich, dass überhaupt einer der drei Gesetzesentwürfe durchkommt. Denn es kann ja auch passieren, dass, wie voriges Jahr beim Thema Pflichtimpfung, drei Gesetzesentwürfe dem Bundestag vorliegen – und keiner davon eine Mehrheit bekommt. Dann bliebe alles, wie es ist.
Und das fände ich verheerend. Denn nach der jetzigen Rechtslage hat beispielsweise auch eine 16-jährige, die in einer Lebenskrise steckt, sofern sie ernsthaft und frei verantwortlich suizidwillig ist, einen Anspruch auf Suizidassistenz, wenn ihr das jemand anbietet. (Anmerkung der Redaktion: Lob-Hüdepohl beschreibt hier die unmittelbare Folge des Bundesverfassungsgericht-Urteils von 2020.) Das heißt: Unsere geltende Rechtslage geht deutlich über das hinaus, was beispielsweise in Holland, in Belgien, Luxemburg oder auch in der Schweiz üblich ist. Dort gibt es eine so genannte "Reichweitenbegrenzung". Das heißt: Dort können nur dann Leute eine Assistenz zum Suizid in Anspruch nehmen, wenn sie schwer erkrankt sind, am Lebensende oder wenn sie ein Hochmaß an Lebensüberdrüssigkeit haben.
Sie sind nicht nur Professor für Theologische Ethik und Mitglied des Ethikrats, sondern auch Mitglied der Katholischen Kirche. Welche Position nimmt die Katholische Kirche zum assistierten Suizid ein?
Die Katholische Kirche in Deutschland, vertreten durch die Bischofskonferenz und durch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, dem ich auch angehörige, steht dem Entwurf der Gruppe um Lars Castellucci sehr nah. Und zwar unabhängig von der Frage, ob aus kirchlicher Sicht ein Suizid überhaupt erlaubt ist oder nicht. Diese Frage tritt zurück hinter den Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen.
Die Katholische Kirche und ich persönlich sagen aber auch: Wir dürfen nicht nur das Selbstbestimmungsrecht von einzelnen Suizidwilligen im Blick haben. Sondern wir müssen auch im Blick haben, welche Auswirkungen das hat, wenn es beispielsweise in Alteneinrichtungen vermehrt zu Suizidassistenzen kommt. Dadurch kann ein Klima entstehen, durch das sich andere Heimbewohner gewissermaßen genötigt fühlen, sich selbst durch einen Suizid das Leben zu nehmen.
Man spricht dann von einer "prekären Selbstbestimmung" des Menschen. Diese Menschen bestimmen zwar über sich selber, begehren den Suizid, aber unterliegen einer Erwartungshaltung. Und da sagt die Katholische Kirche: Wir möchten in unseren Einrichtungen einen Schutzraum bieten, in dem Menschen nicht mit solchen Erwartungshaltungen konfrontiert werden, wo es also kein Regelangebot zur Suizidassistenz gibt.