Fragen & Antworten
Warum das Land Bremen so hoch verschuldet ist
Das Land Bremen hat fast 25 Milliarden Euro Schulden. Das sind knapp 36.000 Euro pro Kopf, mehr als in jedem anderen Bundesland. Woher kommen diese Schulden?
Die Schuldenuhr des Bundes für Steuerzahler in der Sandstraße sagt zurzeit nicht die Wahrheit. Rund 22,7 Milliarden Euro Schulden weist sie für das Land Bremen aus – und untertreibt damit deutlich. Denn die Uhr ist defekt, wie schon die vielen Achten im Zifferblatt erahnen lassen. Zudem rechnet sie noch mit Bremens Haushaltsdaten aus dem Mai 2022, sagt Jan Vermöhlen, Vorstandsmitglied beim Bund für Steuerzahler Niedersachsen und Bremen. Den regulären Haushalt für das laufende Jahr sowie Bremens Nachtragshaushalte für Klimaschutz-Maßnahmen und zur Abfederung der Energiekrise berücksichtige das Zählwerk noch nicht. Tatsächlich stehe Bremen derzeit mit mehr als 24,5 Milliarden Euro in der Kreide.
Bremen wird noch in diesem Jahr die 25-Milliarden-Euro-Marke überschreiten.
Jan Vermöhlen, Bund der Steuerzahler
Vor diesem Hintergrund dürften nicht wenige Bremerinnen und Bremer mit einem flauen Gefühl in der Magengegend zur Kenntnis genommen haben, dass Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Finanzkraftausgleich (früher: Länderfinanzausgleich) klagt. Bayern, das am meisten in den gemeinsamen Topf der Länder einzahlt, möchte weniger einzahlen – zulasten der Nehmerländer wie Bremen, die dringend auf das Geld aus dem Finanzkraftausgleich angewiesen sind. So hat Bremen allein voriges Jahr mehr als 880 Millionen Euro aus dem Topf erhalten – Geld, das der Zwei-Städte-Staat auch benötigt, um jährlich rund 550 Millionen Euro Zinsen für seine Schulden zu bezahlen.
Schulden und Finanzausgleich hängen nicht direkt zusammen
Dabei hängen der Finanzkraftausgleich zwischen den Ländern und die jeweiligen Schuldenstände gar nicht unmittelbar miteinander zusammen. buten un binnen erklärt, wieso Bremen so hoch verschuldet ist, und was es mit dem Finanzkraftausgleich auf sich hat.
Wieso hat Bremen so hohe Schulden?
Die Geschichte der Bremer Schulden beginnt Ende der sechziger Jahre, berichten Jan Vermöhlen und Bettina Sokol, Präsidentin des Rechnungshofs der Freien Hansestadt Bremen, übereinstimmend. Nach langem Hin und Her verabschieden Bund und Länder 1969 mit Zustimmung des Bremer Bürgermeisters Hans Koschnick (SPD) eine Finanzreform. Von nun an zahlen die Bürger die Einkommenssteuer nicht mehr an ihrem Arbeits- sondern an ihrem Wohnort – sehr zum Nachteil der Stadtstaaten. Bremen, bis dahin Geberland im Länderfinanzausgleich, wird ab 1970 zum Nehmerland. Doch die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich können Bremens Einnahmeverluste durch die Finanzreform nicht ausgleichen.
Immer mehr Menschen arbeiten in Bremen und Bremerhaven, leben aber im Umland – und zahlen daher ihre Einkommensteuer nicht in Bremen, sondern in Niedersachsen. Die Zahl dieser sogenannten Einpendler hat sich seit den sechziger Jahren ungefähr verdoppelt. Laut Bundesagentur für Arbeit arbeiten derzeit rund 120.000 Einpendler in Bremen (gut 42 Prozent der Beschäftigten) und mehr als 24.000 (gut 46 Prozent der Beschäftigten) in Bremerhaven.
Die Altschulden sind Bremens größtes Problem.
Bettina Sokol, Präsidentin des Landesrechnungshofs
Trotzdem kann die Finanzreform von 1969 nicht die einzige Ursache für die hohen Schulden Bremens sein. Was ist noch schiefgelaufen?
In Folge der ersten Ölkrise steigen bundesweit ab 1973 die Arbeitslosenzahlen. In Bremen schlägt gleichzeitig die Werftenkrise durch. Viele Werften entlassen Personal – und die Politik steuert dagegen: "Man versuchte in Bremen die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem man ganz viele Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen hat", erklärt Bettina Sokol. Dadurch seien die Personalkosten Bremens in die Höhe geklettert, ohne dass das Land im Gegenzug mehr Geld eingenommen habe.
"Ende der siebziger Jahre wurde Bremen zum Haushaltsnotlage-Land", fasst Sokol zusammen. Unterdessen verschärft sich die Werftenkrise weiter. 1983 schließt die AG Weser. Die Vulkan-Werft geht 1995 in Konkurs.
Hat der Bund Bremen in der Krise nicht geholfen?
Doch, aber erst sehr spät. Einen Erfolg erzielt Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier 1992 mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. "Das Gericht attestierte Bremen, dass das Land unverschuldet in die Haushaltsnotlage geraten ist", so Sokol. Zudem bescheinigt es Bremen eine "Extreme Haushaltsnotlage". Bis zum Jahr 2004 erhält das Land insgesamt 8,5 Milliarden Euro "Sonder-Bundesergänzungszuweisungen".
Leider ohne den erwünschten Erfolg. Bremens Schulden steigen Sanierungsberichten des Finanzressorts zufolge in dieser Zeit um mehr als 2,4 Milliarden Euro: auf 11,4 Milliarden. Das Ressort führt dies in einer Chronik unter anderem auf eine im Jahr 2000 beschlossene Steuerreform zum Nachteil Bremens zurück, für die das Land keinen ausreichenden Ausgleich erhalten habe.
Infolge der Föderalismusreform II von 2011 erhält Bremen von 2011 bis 2019 jährlich 300 Millionen Euro an Konsolidierungshilfen vom Bund. Seit 2020 bekommt das Land aufgrund des Sanierungshilfegesetzes von 2017 jährlich 400 Millionen Euro Sanierungshilfen vom Bund. Diese Zahlungen sind unabhängig von den Mitteln aus dem Finanzkraftausgleich der Länder, aus dem Bremen voriges Jahr mehr als 880 Millionen Euro erhalten hat.
Allerdings muss Bremen – so die Bedingung – jährlich durchschnittlich mindestens 80 Millionen Euro des Geldes zur Tilgung seiner Schulden einsetzen. Zur Einordnung: Das gesamte Haushaltsvolumen Bremens lag 2022 bei 6,7 Milliarden Euro, teilt Matthias Makosch aus dem Finanzressort mit. 550 Millionen davon hat Bremen zur Zahlung von Zinsen aufgewendet.
Was haben Bremens Schulden mit dem Finanzkraftausgleich der Länder zu tun?
Unmittelbar gar nichts, sagt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler André Heinemann von der Uni Bremen. Es bestehe lediglich ein indirekter Zusammenhang insofern, als Bremen das Geld aus dem Finanzkraftausgleich unter anderem auch benötige, um die Zinsen seiner Schulden zu bezahlen. Grundsätzlich aber orientiere sich der Finanzkraftausgleich allein an den Einnahmen der Länder: "Die Einnahmen, die den Bundesländern unter Berücksichtigung ihrer Gemeinden zur Verfügung stehen, sollen so weit ausgeglichen werden, dass alle Länder über eine finanzielle Ausstattung verfügen, die es ihnen möglich macht, ihre Funktionen in der bundesstaatlichen Ordnung zu erfüllen."
Wenn es gar nicht um Bremens Schulden geht – wieso ist Bremen dann seit mehr als 50 Jahren ununterbrochen ein Nehmerland beim Finanzkraftausgleich?
Heinemann erklärt es vor allem mit Bremens Status als Stadtstaat, beziehungsweise Zwei-Städte-Staat: "Stadtstaaten erfüllen ein fast ausschließlich großstädtisches Aufgabenspektrum."
Beispielhaft hierfür führt der Wissenschaftler das Netz an Straßenbahn- und Buslinien in Bremen an sowie die Hochschulen im Land Bremen. Müssten in einem Flächenland alle Bewohner des Landes die Universitäten mitbezahlen, auch die Bewohner auf dem Land, so fehle den Stadtstaaten dieses Umland innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Gleiches gelte prinzipiell für die Landespolizei, für Krankenhäuser und für alle anderen Einrichtungen, mit denen Bremen und Bremerhaven nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die des Umlands versorgen. "Deshalb brauchen Stadtstaaten eine besondere Berücksichtigung beim Finanzkraftausgleich: um Ungleiches auszugleichen."
Als Grundlage hierfür dient beim Finanzkraftausgleich die "Einwohnerwertung". Konkret wird ein Stadtstaaten-Einwohner bei der Ermittlung des Finanzbedarfs nicht zu 100 Prozent gezählt, sondern zu 135 Prozent, also deutlich überdurchschnittlich gewichtet.
Wie aussichtsreich ist Bayerns Klage gegen den Finanzkraftausgleich?
André Heinemann hält es für unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Klage Bayerns den gesamten Finanzkraftausgleich infrage stellen oder gar für verfassungswidrig wird. Auch Landesrechnungshof-Präsidentin Bettina Sokol kann sich das kaum vorstellen, zumal Bayern mit seiner Klage allein auf weiter Flur stehe. Beide halten aber zumindest für denkbar, dass das Bundesverfassungsgericht der Klage in einigen Details folgen wird. "Da wird es dann aber eher um kleine Korrekturen in Mini-Fragen gehen", vermutet Sokol, fügt aber auch hinzu: "Ganz sicher kann man sich vorher natürlich nie sein."
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. August 2023, 19.30 Uhr