Interview
Bremer Experte: "30-Prozent-Marke für Merz psychologisch sehr wichtig"
Experte zu Boris Pistorius: "Er ist der Mann der Zukunft in der SPD"
Die CDU hat die Wahl klar gewonnen, aber die psychologisch wichtige 30 Prozent-Marke verpasst, sagt Andreas Klee. Nach der Wahl werde immer klarer, dass es keine Gewissheiten mehr gebe.
Herr Klee, CDU und CSU sind die Wahlsieger, haben jedoch die 30-Prozent-Marke nicht geknackt. Handelt es sich um einen Wahlsieg mit einem gewissen Beigeschmack?
Die 30 Prozent waren für Merz psychologisch sehr wichtig, um seinen Führungsanspruch ganz klar deutlich zu machen. Das haben sie jetzt nicht erreicht. Das Flirten mit dem Rütteln an der Brandmauer hat offenbar nicht dazu geführt, dass er sich als besonders führungsstark präsentieren konnte, sondern hat eher dazu geführt, dass man Stimmen verliert. Also das war ein klares Ziel, und es ist immerhin auch das zweitschlechteste Ergebnis der CDU. Das sollte nicht unerwähnt bleiben.
Die SPD hat historisch schlecht abgeschnitten. Warum konnte sie diesmal nicht punkten?
Ja, sie sind überhaupt nicht aus dem Quark gekommen. Es gab aus meiner Sicht so einen energiereichen Moment, als eben Merz dieses Flirten mit der AfD begonnen hat. Aber das hat dann wahrscheinlich den Linken geholfen. Olaf Scholz hat den ganzen Wahlkampf über versucht, den Menschen zu erklären, dass doch alles gar nicht so schlecht war, was gemacht worden ist. Und das war überhaupt nicht glaubhaft und wird jetzt mit einem entsprechenden Ergebnis auch bestraft.
Wäre Boris Pistorius vielleicht der bessere Kandidat als Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen?
Wahrscheinlich schon. Aber ich glaube, dass da auch die Strategie dahintersteht, ihnen für den nächsten Wahlkampf aufzubewahren. Die Ausgangsposition war denkbar schlecht. Olaf Scholz wurde zentral dafür verantwortlich gemacht für das Scheitern der Regierungskoalition. Also hätte auch ein Pistorius das Ruder wahrscheinlich nicht rumreißen können.
Sehen Sie Boris Pistorius als den neuen starken Mann in der SPD?
Ich denke, er ist der Mann der Zukunft in der SPD, weil er hohe Zustimmungswerte hat und weil er unverbrannt sowohl aus der Regierung als auch aus diesem Wahlkampf rausgehen kann.
Die AfD ist zweitstärkste Kraft. Wie ordnen Sie dieses Wahlergebnis ein?
Es ist ein Erfolg, beinahe eine Verdoppelung. Man hätte vielleicht noch mit mehr rechnen können, aber trotzdem ist es so, dass das für die Partei eindeutig mehr ist als ein Achtungserfolg. Und es muss man zur Kenntnis nehmen. Und es wird immer schwieriger, diese Partei zu ignorieren.
Wenn inzwischen fast jeder 5. die AfD wählt, dann kann das ja nicht mehr eine reine Protestwahl sein, oder?
Spätestens heute Abend ist genau das der Fall. Wenn wir so eine Partei haben, die sie so kontinuierlich erst einmal etabliert und dann auch weiterentwickelt, dann ist es irgendwann auch nicht mehr glaubhaft, immer nur vom Protest zu sprechen. Also es gibt bestimmt Menschen, die, die die AfD wiedergewählt haben, um immer wieder wählen werden.
Und die Frage ist, ob bei 20 Prozent dieser Wählerwille noch berücksichtigt ist, wenn man die AfD komplett ignoriert?
Der Wählerwille wird ja nicht ignoriert. Also das wird in den Ergebnissen repräsentiert, der ist erst einmal da. Damit muss man auch umgehen. Wir sehen jetzt auch schon den ganzen Abend, welche Schwierigkeiten sich auftun, Koalitionen zu bilden.
Das heißt aber nicht automatisch, dass man die stärkste Partei und die zweitstärkste Partei einen Regierungsauftrag haben. Also es ist schon im Sinne der Demokratie, wenn die Parteien sich dann gemäß ihrer Ideologien zusammenfinden.
Würde der SPD eine Runde Opposition guttun oder muss sie aus staatspolitischer Verantwortung mitregieren?
Die Zahlen sprechen dafür, dass sie es muss – auch weiterhin. Was aber nicht heißt, dass es ihr nicht doch guttäte auch vielleicht mal so eine Personalrochade auch hinzubekommen.
In der Oppositionsrolle hat man die Möglichkeit, auch mal die eine oder andere Person etwas eleganter loszuwerden. Und das wäre sicherlich etwas, was grundsätzlich ganz gut wäre, um sich zu erneuern. Aber ich denke, darauf wird es nicht hinauslaufen.
Wie wird die SPD in mögliche Koalitionsverhandlungen gehen?
Innerlich werden sie devot sein und wissen, dass sie gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sind. Nach außen versucht man das natürlich als ein Instrument der Stärke zu verkaufen und so viel wie möglich an Ämtern und Inhalten in einem möglichen Koalitionsvertrag zu etablieren.
Glauben Sie, dass die Brandmauer zur AfD weiterhin steht?
Das ist die große Hoffnung. Die Bundesrepublik gründet sich auf einer antifaschistischen Staatsraison, da ist es eigentlich unausweichlich, an der Brandmauer festzuhalten. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, wenn man so in die letzten Wochen und Monate ins politische Weltgeschehen guckt: Es passieren ständig Dinge, mit denen man nie gerechnet hat. Also unmöglich ist es nicht. Aber, wenn man den Aussagen von Herrn Merz Glauben schenkt, ist sie aktuell nicht in Gefahr.
Ist ein Bündnis mit der FDP realistisch?
Das ist tatsächlich die große Frage heute Abend, weil die genau all diese Dreierbündnisse, die man sich rechnerisch vorstellen kann. Kann man sich tatsächlich eigentlich nicht vorstellen: Aufgrund der handelnden Personen und dem Aus der Ampel. Für die Stabilität im Land wäre es durchaus besser, wenn es so käme, dass es für zwei Parteien reicht.
Wie haben die Linken ihr Comeback geschafft?
Sie profitierten von Merz' Spielereien mit der Brandmauer und dem Versuch der Grünen, sich an die CDU heranzurobben. Sie wurden als Opposition zu rechten Tendenzen wahrgenommen.
Was bedeutet das Ergebnis für Bremen?
Die SPD muss mit allem rechnen. Die Bewegungen in der Parteienlandschaft werden immer stärker. Man sollte keine Gewissheiten haben, wenn man in den Wahlkampf geht.
Ein Wort zur Wahlbeteiligung von 84 Prozent bundesweit?
Es ist ein Bekenntnis zur Demokratie. Das ist ein Bekenntnis, mitentscheiden zu wollen. Bei dieser Wahl gab es eben große Richtungsentscheidungen zwischen links und rechts und der Aufwertung der Mitte. Da haben viele mitgemacht. Das ist eine tolle und wichtige Botschaft.
Das Interview führte Felix Krömer für buten un binnen, aufgeschrieben von Jörn Hüttmann.
Bremer Experte zu Wahlversprechen: "Brandmauer sollte stehen"
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. Februaru 2025, 19:30 Uhr