Für immer hinter Gittern: Als der Maskenmann verhaftet wurde
Ein Bremer Jugendbetreuer verging sich jahrelang an kleinen Jungen und ermordete drei. Ein ehemaliges Opfer brachte die Polizei auf seine Spur.
Ein schwarz vermummter Mann steigt nachts in die Zimmer von kleinen Jungen ein und missbraucht sie sexuell. Es klingt wie ein Albtraum, aber jahrelang sorgte der sogenannte "Maskenmann" in Norddeutschland so für Angst und Schrecken. Er schlug in Privathaushalten, Zeltlagern und Schullandheimen zu.
Kinder nicht ernst genommen
Alle Jungen beschreiben ihren Peiniger gleich: sehr groß, dunkel gekleidet und mit schwarzer Gesichtsmaske. Doch Erwachsene tun die Geschichten vom schwarzen Mann als böse Träume oder fantasievolle Schauermärchen ab.
Willi Schäfer, damals im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Bremer Schullandheime, rechtfertigt das so: Solche Erzählungen von Kindern seien immer schon verbreitet worden – vom "großen Unbekannten", der aus der Dunkelheit kommt. Entsprechend überrascht ist Schäfer, als sich herausstellt, dass an den Beschreibungen etwas dran ist – "dass da tatsächlich einer aus der Dunkelheit gekommen ist – das konnte man gar nicht ernst nehmen."
Als 2001 der neunjährige Dennis K. aus einem Schullandheim in Wulsbüttel (Landkreis Cuxhaven) verschwindet und zwei Wochen später seine Leiche gefunden wird, erscheinen die Geschichten vom schwarzen Mann plötzlich in einem anderen Licht.
Der Fall Dennis hat unser Denken völlig verändert. Aber er hat uns auch hilflos gemacht, weil wir dann nicht mehr wussten, wie wir da rauskommen sollten.
Willi Schäfer, AG Bremer Schullandheime
Immer mehr Jungen, Eltern, Betreuer melden sich nach dem Mord und berichten von nächtlichen sexuellen Übergriffen. Schul-Fahrten werden storniert. Kinder haben Angst davor, dass ihnen das Gleiche zustoßen könnte. Die Polizei richtet eine Sonderkommission ein: die Soko Dennis.
Die Ermittler stellen Zusammenhänge her zwischen zahlreichen Taten der letzten Jahre. Sie gehen von einem Serientäter aus, auf dessen Konto noch zwei weitere ungeklärte Morde gehen. 1992 war der 13-jährige Stefan aus einem Internat in Scheeßel (Landkreis Rotenburg) entführt und getötet worden. Drei Jahre später der achtjährige Dennis R. aus einem Zeltlager in Schleswig-Holstein. Zwei Wochen später wurde seine Leiche in Dänemark gefunden.
Lange tappt die Polizei im Dunkeln
Mehr als 1.000 Hinweisen geht die Soko nach, befragt Zeugen und mögliche Verdächtige. Erst 2011 gelingt der Durchbruch in den Ermittlungen. Der entscheidende Hinweis kommt aus Bremen von einem jungen Mann, der 1995 als 10-Jähriger zuhause in seinem Kinderzimmer von einem vermummten Unbekannten missbraucht worden war. Lange hat er die Berichterstattung über den Maskenmann verdrängt. Er war zu stark traumatisiert, um immer wieder an seinen eigenen Missbrauch zu denken. Aber plötzlich erinnert er sich auch an Martin, den Betreuer einer Jugendfreizeit, der sich kurz vor dem Überfall damals auffällig für sein Zuhause interessiert hat: Der wollte genau von ihm wissen, "wo was steht, wo welches Zimmer ist." Damals dachte er sich nichts dabei, aber 15 Jahre später sieht er dessen Neugier in einem ganz anderen Licht. Er meldet sich bei der Soko und gibt so den entscheidenden Hinweis.
Täter verhaftet und verurteilt
Die Polizei identifiziert den Betreuer von damals und nimmt ihn in Hamburg fest. Der 41-jährige Martin Ney stammt aus dem Bremer Stadtteil Horn-Lehe und ist von Beruf Sozialpädagoge. Als nett und unauffällig beschreiben ihn seine Nachbarn. Dabei hat er als "Maskenmann" über Jahrzehnte ein Doppelleben geführt. Kurz nach seiner Festnahme gesteht er die drei Morde und 40 sexuelle Übergriffe auf kleine Jungen. Die Hälfte der Straftaten ist da bereits verjährt.
Er war das, was wir "kernpädophil" nennen. Das heißt, er hatte keine sexuellen oder romantischen Interessen gegenüber älteren Personen, sondern nur gegenüber vorpubertären Jungs.
Lydia Benecke, Kriminalpsychologin
20 Jahre nach dem Verschwinden des ersten Mordopfers verurteilt das Landgericht Stade den geständigen Täter zu lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung bis an sein Lebensende. Ein ein Psychiater hatte Martin Ney anhaltende Gefährlichkeit attestiert.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob jedoch im Januar 2013 die verfügte Sicherungsverwahrung auf. Der BGH begründete seine Entscheidung damit, dass Ney nach Verbüßung der Haft – es ist von mindestens 20 Jahren auszugehen – nicht auf freien Fuß gesetzt wird, sollte er weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit sein. Diese Einschätzung muss dann ein neues Gutachten bestätigen.
Inzwischen wird Martin Ney ein weiterer Mord zur Last gelegt. Im Januar ist er nach Frankreich ausgeliefert worden, weil er dort 2004 den elfjährigen Jonathan entführt und getötet haben soll.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Stichtag, 13. April 2021, 5:40 Uhr